Freitag, 9. März 2012

iPad Reloaded – Apples großer Taschenspielertrick, die Konkurrenz schlecht aussehen zu lassen

Bei der Präsentation des neuen iPad haben ein paar subtile Effekte weniger Aufmerksamkeit erhalten als Augenfälligkeiten. Wichtig sind aber beide.

Diejenigen, die das Retina-Display nur als technisches Feature wahrnehmen und mit skeptischem Blick nach dem Wow-Effekt fahnden, übersehen etwas Entscheidendes: Mit dem neuen iPad lässt Apple die Konkurrenz schlecht und alt aussehen. Was ein primär, aber bei weitem nicht ausschließlich visueller Effekt ist. Und relevanter als ein Killer-Feature. Die "revolutionären" Dinge am neuen iPad sind gleichzeitig augenfälliger und subtiler als beim iPhone 4S.

Ein Stück Glas als Close-Up Magie
Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht das Retina Display mit seinen 3,1 Millionen Pixeln und der 2048 x 1536 Auflösung. Auf den ersten Blick sieht das nach einem für Apple bemerkenswert techniklastigen Feature und Präsentationsansatz aus. Bildpunkte sind kein zündendes Verkaufsargument für den Massenmarkt. Der Witz daran ist allerdings: das braucht Apple auch nicht. Wer den stärksten Konkurrenten bei den Absatzzahlen um den Faktor 3 bis 4 abhängt, braucht kein Hingucker-Feature. Aber etwas, um die eigene Position zu befestigen.

Dass weder die Keynote-Präsentation noch der TV-Spot hier das "Magische" hervorkehren, heißt zudem nicht, dass Apple diesen Faktor auf einmal vergessen hat oder dass es ihn nicht gäbe. Es handelt sich vielmehr um Close-up Magie. Der Effekt des Retina Displays ist nur begrenzt medial kommunizierbar - seine volle Wirkung entfaltet es nur bei direkter Inaugenscheinnahme. Dann aber gehörig.

Das Display ist das Element, über das wir mit dem Tablet interagieren. Ein immer fotorealistischeres Display macht den Zugang zur digitalen Welt unmittelbarer, reduziert noch mehr die Wahrnehmung des Geräts als technisches Hilfsmittel – wie schon die Touch-Technologie den Zugang unmittelbarer gemacht hat.

Apple nennt das im Produkt-Trailer die magische Scheibe Glas, die alles möglich macht. Andere würden vom Fenster zur Welt sprechen, aber das ist ein Begriff, für den Apple nachvollzieh- barerweise wenig Wertschätzung hegt.


Der Punkt ist: ein 3,1-Millionen-Pixel-Display wirkt erst einmal wie ein technisches Argument – und die langsame Adaption von HDTV oder Blu-Ray hat gezeigt, dass schärfere Bilder kein zwingender Kaufgrund sind. Der Nutzer als solcher "braucht" das nicht, erst recht nicht, wenn er abstrakt darüber nachdenkt. Die tatsächliche Wirkung erschließt sich erst bei direktem Kontakt – dafür fällt sie dann stark aus.

Und sie hat einen subtilen Nebeneffekt: Es gibt keinen Weg zurück. Wer die Vorgänger-iPhones mit den 4er-Generationen verglichen hat, kennt das: Die bessere Display-Qualität sticht nicht nur sofort ins Auge – man gewöhnt sich auch enorm schnell daran. Und dann lässt das Feature, wegen dem allein man nicht umgestiegen wäre auf das neue Gerät, den Vorgänger – wie auch die Konkurrenzprodukte – blass, veraltet, unattraktiv aussehen. Völlig egal, ob sie technisch mehr können oder leistungsfähiger sind. Sie sehen schlechter aus – und das ist neben der Berührung der Zugangsweg, den wir zu Tablets haben.


Apples großer Taschenspielertrick
Wegen dem Display allein werden jetzt nicht Millionen von Leuten ein iPad kaufen - in dem Sinn, dass es keine bislang am iPad desinteressierten Massen zu dem Gerät bringen wird. Aber diejenigen, die eines kaufen, werden danach nicht zu einem Android-Tablet mit geringerer Auflösung wechseln. Wer sie miteinander vergleicht, wird einen Qualitätsunterschied unmittelbar, direkt vor Augen haben. Das Display lässt die Konkurrenz schlechter aussehen – und diese Wahrnehmung wird bei den Kunden nicht auf der visuellen Ebene verbleiben. Das Display wird zum potenziellen Lock-In. Das ist der Witz, das ist Apples großer Taschenspielertrick. Tim Cook mag das in seiner pragmatischen, trockenen Art nicht mit der Bühnenshow eines Steve Jobs verkaufen. Das heißt aber nicht, dass der Effekt nicht greift.

(Nebenbei bemerkt ist es durchaus gut, dass Cook nicht versucht, den Ersatz-Jobs zu geben. Er hat auch kein Reality Distortion Field. Aber es ist ohnehin aberwitzig, Produktvorstellungen wie Erweckungserlebnisse zu feiern. Effektiv schon, aber aberwitzig.)

So wird die Konkurrenz zum Nachziehen gezwungen. Und Displays sind ein relevanter Kostenfaktor bei Tablets, was den Mitbewerbern den Angriff am Preispunkt schwieriger macht. Samsung mit seiner Display-Erfahrung und seinen OLED-Experimenten dürfte da noch die wenigsten Probleme haben. (Samsung ist ja auch Apples Lieferant).


Schneller heißt unauffälliger
Die gleiche Grundlogik steht hinter der LTE-Entscheidung. Ein schnelleres Surfen, schnellere Interaktion mit Multimedia-Inhalten reduziert die Reibung. Reduziert das Warten, währenddessen der Nutzer die Technik nicht nur an sich, sondern auch als Störfaktor seiner User Experience wahrnehmen kann. Eine Beschleunigung hier verbessert also das "Erlebnis iPad". Und schneller sollte das neue iPad so und anders sein – auch wenn LTE international bei weitem nicht flächendeckend verfügbar ist und insbesondere deutsche Käufer weit entfernt von den Höchstwerten bleiben werden, weil das iPad die falschen Frequenzen verwendet. Selbst mit auf deutsche Frequenzen eingestellter Technik wäre LTE-Surfen im deutschen Netz-Flickenteppich aber ohnehin ein Trauerspiel.


Spiel ohne Zahlen
Gleichfalls ebenso augenfällig wie subtil ist die Entscheidung, das Gerät der dritten Generation schlicht das neue iPad zu nennen. Auch wenn das für viel Stutzen und Irritation gesorgt hat – das Konzept ist nicht schlecht. Es ist eben das iPad. Die 2er-Variante wird leicht verbilligt als Vorstopper gegen die Konkurrenz eingesetzt, die Rolle des Image-Trägers übernimmt aber die neue Generation. Und auch andere Produkte werden nicht durchnummeriert – ob es Apples iPod oder Automodell-Reihen sind. Ein 3er BMW heißt auch aus Gründen immer 3er BMW, nicht 3er 2005 oder 3er 2012. (Natürlich haben sie auch technische Baureihenbezeichnungen, aber wie oft unterhalten sich Leute über den E90 oder F30?)

Die von einigen gemutmaßte Bezeichnung HD wäre ohnehin ungeschickt gewesen – die Argumentation muss ja schließlich lauten, wie deutlich über dem, was andere HD nennen, das iPad liegt. Netter Nebeneffekt ist zudem, dass es die Spekulationen über die nächsten Produkte befördern dürfte. Was uns zum nächsten Punkt bringt:


Game On - Erwartungshorizonte
Auffällig an den medialen Reaktionen auf das neue iPad ist: die Kritik fällt zumeist deutlich zurückhaltender aus als noch beim iPhone 4S. Das dürfte nicht zuletzt mit den blamablen Fehleinschätzungen rund um Apples erfolgreichstes Smartphone-Modell zu tun haben. Auch die nicht Überzeugten halten zwar fest, dass es nicht der große Wurf, keine Revolution, kein Wow-Produkt sei, sich aber trotzdem gut verkaufen werde.

Dem zweiten Teil widerspreche ich nicht.

Was den ersten Teil angeht, bleibt die Frage: Wofür sollte Cupertino denn überhaupt einen großen Wurf brauchen? Das iPad hat keine zwingende Gerätekonkurrenz. iOS als Betriebsplattform hat in Android eine. Aber die gesunkenen Marktanteile Apples sind kein großes Zeichen von Schwäche – sinkende Marktanteile sind die logische Folge, wenn Konkurrenz in einen Markt eintritt, den vorher einer aus dem Boden stampfte. Was Apple braucht, ist ein Abstandshalter.

Natürlich positioniert sich das Unternehmen – und es war durchaus vielsagend, dass Tim Cook in seiner Keynote Zeit darauf verwendet hat, zu erklären, wie viel besser iPad-Apps aussähen im Vergleich zu denen auf Samsungs Galaxy Tab. Der Mann zeigt Nerven – greift gleichzeitig aber wieder zu dem Mittel, die Konkurrenz schlecht aussehen zu lassen. Apple nimmt die Konkurrenz wahr und sagt ihnen gleichzeitig: Kommt nur. Game On.

(Wobei hier ganz grundsätzlich festzustellen ist, dass es weder Naturzustand noch für die Endkunden erstrebenswert ist, dass Apple den Tablet-Markt dominiert. Monokulturen sind nirgends zu bevorzugen.)

"We're just getting started"
Dass Apple weiter den Spielmacher geben will, zeigte Cooks Abschluss. "There’s a lot to look forward to. We’re just getting started" fungiert als Drohkeule und Karotte am Stock. Und das Spiel wird Fahrt aufnehmen. Befeuert durch die Enttäuschung über das Fehlen von angeblich geplanten Features, die sich Apple-Auguren über die letzten Wochen und Monate aus mal mehr, mal weniger qualifizierten Körperöffnungen gezaubert haben und dem üblichen Hype-Cycle, kommen spätestens übernächste Woche die ersten damit um Ecke, dass ja die "eigentliche Sensation" dann irgendwann zwischen April und Oktober kommt.

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