Sonntag, 23. November 2014

Von wegen Disruptoren: Die Arschlochkinder des Raubtierkapitalismus

Unter Startups, gerade US-Startups im Silicon Valley, gibt es ja durchaus einen gewissen Habitus, ein Leitbild, einen Mythos. 

Ich meine jetzt nicht den Hoodie. Auch wenn der Teil der gewählten Uniform sein kann.

Ich meine das Leitbild des Disruptors. "Move fast and break things." Der plucky Underdog, der charmante Halunke, der irgendwie schlauer ist als die anderen, die alten Dinosaurier.

Das ist grundsätzlich nicht unsympathisch, aber in der letzten Zeit mehren sich mal wieder die negativen Fälle. 

Diejenigen, bei denen man sagen muss: Ihr seid keine Disruptoren. Ihr seid die Arschlochkinder des 80er-Jahre-Raubtierkapitalismus, mitten in der Pubertät. Werdet erwachsen.

Bild: Fotolia / adam121

Aktuellstes Beispiel: Der Fahrdienst Uber, besser gesagt dessen Senior Vice President Emil Michael. Der hat im Rahmen eines Abendessens mit Medienvertretern nicht nur laut drüber gemault, wie böse und unfair manche Journalisten zu ihm seien. Nein, er hat noch Rachefantasien gesponnen, wie das Unternehmen gezielt gegen Einzelne (Sarah Lacy von PandoDaily, um genau zu sein) eine Schmutzkampagne fahren könnte, um sie fertig zu machen.

Und wir reden hier nicht von kurzem Zornesventilieren: Wer Rahmendaten so konkretisieren kann wie es Buzzfeed, die das Thema öffentlich gemacht haben, hier von Michael aus dem Gespräch wiedergibt, kann das anschließend nicht als kurzes Hohldrehen abtun. Eine Million Dollar, ein Team aus vier Rechercheuren und vier Journalisten. Das ist schon sehr konkret. Und Ubers Beteuerung, dass sie sowas nicht machen, konterkariert Michaels letztes Zitat bei Buzzfeed wunderschön:

"Nobody would know it was us."

Ubers Beteuerungen wiederum, dass er das natürlich nicht so gemeint habe, nicht für die Company spreche, und das sowieso überhaupt nicht gesagt worden sei kontrastiert schön die geplante Einstellung eines Teams für Opposition Research. Buzzfeed zitiert aus den Einstellungsunterlagen für Kandidaten:

"Your mission is to identify and weaponize the facts about those incumbents, the truth about Uber and to do it one step ahead of the rest," the document says.
"Once we have the research, we have to weaponize and disseminate it. That’s where a rapid response operation comes in working closely with our comms team."

Dabei geht's ihnen um Konkurrenten, nicht Journalisten. Aber die Mentalität dahinter passt zu Michaels Fantastereien.


The Smartest Guys in the Room all over again

Uber ist wie gesagt aktuell der Poster-Boy für solche Eskapaden, aber natürlich nicht der einzige. Die Messaging-App Whisper, in der Nutzer angeblich anonym Dinge ausplaudern können, hat sich kürzlich einen heftigen Schlagabtausch mit dem Guardian geliefert. Denn erst haben Angestellte vor zwei Guardian-Reportern auf Unternehmensbesuch damit angegeben, was Whisper alles doch über seine Nutzer weiß und wie es sie trackt. Und dann, als der Guardian einen entsprechenden Artikel gebracht hat, mit Schaum vor dem Mund Lügen unterstellt:

Whisper executives over the last 24 hours have denounced those reports as “lousy”, “a pack of vicious lies” and “beyond silly”. They’ve said the stories contain aspects that are “100% FALSE”, “made-up quotes” and “so inaccurate as to be laughable”.
“The Guardian made a mistake posting that story and they will regret it,” tweeted Neetzan Zimmerman, Whisper’s editor-in-chief. The Guardian is lying. Full stop.”

Das angeblich falsche, nie geäußerte Zitat war dieses:
One executive described how Whisper was following an apparently sex-obsessed lobbyist in DC. “He’s a guy that we’ll track for the rest of his life and he’ll have no idea we’ll be watching him,” the Whisper executive said.

Beide Beispiele sind mit dem gleichen Grundproblem verbunden: Hybris. Typen, die sich für die Könige der Welt, "the smartest guys in the room" und irgendwie über den Regeln stehend halten.  Deutschland gibt dafür übrigens auch Beispiele her, wenn man daran denkt, was etwa Lieferheld oder Unister in Teilen so abgezogen haben.

Das Leitbild dahinter ist der Disruptor, der quasi im Alleingang komplette Industriebranchen und Wirtschaftszweige umkrempelt. Der gegen alle Widerstände Innovationen schafft. Ganz nach dem Motto "Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du." Mit Gandhi hat dies hier allerdings nichts zu tun. 

Und innovativ oder neu ist es auch nicht.

Typen dieses Schlags sind keine innovativen Disruptoren. Sie sind die Arschlochkinder des Raubtierkapitalismus. Ihr Denkmodell ist so 80er-Jahre Old School, wie es nur sein kann.

Typen, die sich für die Größten halten. Zu schnell zu viel Geld in die Hand bekommen und durch den Höhenflug jegliche Bodenhaftung verlieren. Klingt das irgendwie bekannt?



Das ist das 80er-Jahre-Wall-Street-Phänomen. Enron Ende der 90er. Die Bankenkrise.

Diese Art von Startup-Köpfen krempelt vielleicht ein Wirtschaftssegment um. Sie stehen aber nicht im Geringsten für eine neue Denkweise oder Haltung, was unternehmerisches Handeln angeht.

Sondern für ein Modell, dessen schädliche Wirkung uns wohlbekannt sein müsste.


Die 80er sind vorbei und wir brauchen sie nicht zurück

Eine der Anekdoten rund um den Film Wall Street mit Michael Douglas ist, dass er sogar als Werbung für das funktionierte, was er zutiefst kritisiert hatte. Dass hoffnungsvolle, dynamische Jung-BWLer den "Gier ist gut"-Teil hörten und sich daran orientierten. So sein wollten wie Gordon Gekko.

Die 80er sind vorbei, und wir sind viel aus diesem Jahrzehnt losgeworden, auch kulturell. Die neuen Schlagworte lauten Nachhaltigkeit, verantwortliches Wirtschaften, Transparenz. Und diese sollte man nicht nur von Großunternehmen einfordern.

Im Schatten von Google, Facebook, Apple & Co. ist eine Startup-Szene und -Kultur herangewachsen, die viel ökonomischer geprägt ist. In der das schnelle Skalieren und das richtig Reibach bei Investoren und anderswo machen vielen wichtiger scheint als ihre Idee als solche. In der mehr Wall Street als Garage herrscht. Damit hat auch die Verachtung anderer Unternehmen und Akteure zugenommen. Und die Skrupellosigkeit. Man will ja das nächste Apple, Google, Facebook werden, da darf man sich doch nicht von lästiger Konkurrenz, zögerlichen Politikern oder veralteten Regeln aufhalten lassen. Man steht doch über diesen Dingen.

(Eine Haltung die, das sei hier zugegeben, historisch für eben Google, Facebook oder Apple durchaus Erfolge gebracht hat. Das bedeutet aber nicht, dass man sie perpetuieren sollte.)

Im Fall einer Auseinandersetzung wird dann trotzdem gern die Karte des plucky Underdog gespielt, des charmanten Halunken, der sich ja gegen die Übermacht irgendwie schlau durchsetzen muss. Gerade Uber hat das in seinem Zoff mit Konkurrenz und Behörden hierzulande wie in den USA vorgemacht.

Bezeichnend war die offizielle Reaktion auf das Gerichtsurteil, nach dem Uber keine Fahrer ohne entsprechende Genehmigung nach deutschem Recht vermitteln darf (via Spiegel):

"Die Wahlmöglichkeiten der Bevölkerung einzuschränken, war noch nie eine gute Idee", schreibt das Unternehmen am Dienstagnachmittag. Genau darauf zielte aber die von Taxi Deutschland beim Landgericht Frankfurt am Main beantragte einstweilige Verfügung ab. Fortschritt lasse sich aber nicht ausbremsen. "Uber wird seine Tätigkeit in ganz Deutschland fortführen."

Fortschritt lässt sich vielleicht nicht ausbremsen. Arroganz aber hoffentlich schon.


Nicht im Fond zurücklehnen

Weder Medien noch Konsumenten sollten Unternehmen, die so vorgehen wie Uber, gestatten, sich als charmanter Halunke zu gerieren. Es gibt klare Grenzen zwischen gewitztem Verhalten und egomanem Um-Sich-Schlagen, wie es der Fall Emil Michael skizziert.

Denn aus dieser Geisteshaltung entstehen keine Unternehmen, die nicht nur andere Produktions- oder Dienstleistungskonzepte, sondern auch eine andere Wirtschafts- und Unternehmenskultur mit sich bringen. Aus dieser Geisteshaltung entstehen die gleichen Kolosse und Skandale, wie sie uns die vergangenen 20, 30 Jahre immer wieder vorexerziert haben.

Das stellt auch einen kompletten Widerspruch zu dem dar, wofür Startup-Szene und Netzgemeinde stehen wollen. (Auch wenn es nicht neu ist, dass das viele nicht leben.)

Echte Innovatoren sind eine gute Sache. Aber pubertierende Arschlochkinder, die bockig werden, wenn jemand sie zu kritisieren wagt, und für ihren Schreikampf auf ein mit Millionen gefülltes Konto zurückgreifen können - das ist etwas ganz anderes und durchaus gefährlich. Noch sind die Gören klein genug, dass wir sie erziehen können, indem wir ihnen ihr Spielzeug (unsere Daten und unser Geld) wegnehmen.

Vielleicht ist es zu schwer oder für den Einzelnen mit zu großen Kosten verbunden, sich bei Skandalen in großen Konzernen tatsächlich auch als Kunde abzuwenden, statt nur als Teil des Social-Media-Shitstorms selbstgerecht, aber konsequenzenlos die eigene Entrüstung zu ventilieren.

Aber nicht bei Uber & Co.

Das ist das Schöne an einem Modell wie ihrem: Es lässt sich so leicht kopieren, dass es eine ganze Reihe von Alternativen gibt. Ich kann Gründe verstehen, warum Menschen trotz Verärgerung bei Marken wie Amazon oder Facebook bleiben.

Bei Fällen wie Uber gibt es dafür außer Faulheit oder Desinteresse keine Entschuldigung.

Wenn wir wollen, dass unsere Gesellschaft und Wirtschaft moderner werden, dann muss das auch heißen, dass es uns nicht nur um Produktions- und Dienstleistungsmodelle, sondern auch um Unternehmenskultur gehen muss.

Sonst haben wir nur gelernt, dass Schulterpolster im Jackett albern waren.



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