Freitag, 7. Oktober 2011

Siri oder das Killer-Feature, das Apples iPhone nicht mal braucht

[Disclaimer am Ende.]

Nach der iPhone-Präsentation am Dienstag war bei Fanboys, Experten und solchen, die letzteres gern wären, die Enttäuschung in Sachen Apple groß. Kein iPhone 5, kein neues Gehäuse, kein breiteres Display, kein integriertes Lichtschwert.

Und weiter?

Wer sich an der fehlenden 5 auf dem Rücken oder der bekannten Optik festbeißt, übersieht das Wesentliche. Wer über das iPhone 4S lacht, hat über die Implikationen von Siri und ein paar anderer Dinge nicht nachgedacht.

Siri wird von manchen lapidar als Sprachsteuerung abgetan. Untertreibung ist ein zu mildes Wort für diese Einschätzung. Denn Siri ist die Enkeltochter von HAL9000.

Eine persönliche Assistentin, die gesprochene Fragen beantwortet und Anweisungen ausführt.
Werfen Sie einen Blick auf das iPhone-Video ab 00:45.

Auch gut dafür: Ein Blick in die Apple-Keynote ab 73:25.

Siri soll Fragen und Anweisungen "verstehen", nicht nur bestimmte Phrasen.
Denken Sie darüber nach, was die gezeigten Szenen bedeuten.

Siri weiß, wer ich bin, wer meine Freunde und Kollegen sind, wo ich arbeite, wo ich wohne und wo ich gerade bin.
Immer. (Netz vorausgesetzt.)
Und Siri lernt.

(Die Stille, die sie gerade hören, wird von den für ein paar Schläge aussetzenden Herzen bundesdeutscher Datenschützer verursacht. Apple wird allerdings kaum daran scheitern, einen vernünftigen Opt-In aufzusetzen.)

Siri passt perfekt in die Apple-Logik: Sie (offiziell es, aber das klingt irgendwie dämlich) macht es dem Nutzer so simpel wie möglich – so verdammt einfach. Nach der Entfernung der Maus durch den Touchscreen rückt der Nutzer so noch näher ans Gerät. Nicht umständlich Adressen in Maps tippen oder Suchfelder ausfüllen – bloß fragen.

Auf der Suche nach dem Ort des nächsten Termins?
Siri, zeig mir, wie ich da hinkomme.
Hunger und Lust, ein neues Lokal auszuprobieren?
Siri, zeig mir ein gutes Restaurant in der Nähe.

SMS, Mails, Kalender-Einträge. Kann das Ding vorlesen, im Diktat annehmen, koordinieren.

Was interessiert es mich, ob das Display einen Zentimeter breiter ist, wenn ich das Handy gar nicht in die Hand nehmen muss?

Siri ist vom Konzept her die perfekte Sekretärin – mit dem kleinen Haken, dass nicht ganz klar ist, ob sie wirklich nur für einen selbst arbeitet.

Denn wer legt denn fest, aus welchen Quellen Siri meine Fragen beantwortet? Apple. Cupertino formt den Entscheidungsraum vor. Und nichts hindert sie daran, das Modell auszubauen: Couponing-Anbieter, Läden, Freizeitangebote – wenn ich einfach nur fragen muss, ist der Weg noch kürzer als ein Klick auf die App.

Und: Ein lernender, stets aufmerksamer Assistent erlaubt in der Theorie den Aufbau von Nutzerprofilen in einer Tiefe, von der Facebook momentan nur träumen kann.

Wenn Siri also wie vorgesehen funktioniert und auch angenommen wird – das wird der Job des Marketings sein, es gibt nicht ohne Grund bereits jetzt mehrere Varianten des Siri-Spots – dann hat die persönliche Assistentin das Potenzial zu dem Riesenfeature, das Experten in einem neuen Gehäuse gesehen hätten. Ausgemacht ist das natürlich noch nicht.


Aber, jetzt kommt der eigentliche Skandal, Apple braucht überhaupt kein Killer-Feature.


Klar, es wurde der große Wurf herbeigeredet und –geschrieben. Von anderen, nicht von Apple. Vom nötigen Befreiungsschlag gegen die Android-Armee war die Rede. Jetzt vom bröckelnden Ruhm, dem Ende des Hype, dem Beginn des Abstiegs. Nun schon von einigen in Zusammenhang gebracht mit dem Tod von Steve Jobs, was ich nicht weiter kommentieren werde.


Mal der Reihe nach:
Das iPhone 4 ist Apples bestverkauftes Modell bislang. Samsungs Galaxy S II, wohl der erfolgreichste Konkurrent, hat letztens stolz verkündet, seit Markteinführung 10 Millionen Stück verkauft zu haben. Toll. Nur: Apple verkauft 20 Millionen iPhone 4-Modelle – pro Quartal. Tendenz steigend.

Die Leute hören jetzt sicherlich nicht auf, das iPhone zu kaufen, weil keine 5 hinten drauf steht oder es immer noch das gleiche Gehäuse aufweist.
Gut, letzteres finde ich persönlich schade, weil mir das 4er Gehäuse nicht besonders gefällt. Ich finde die Form des 3GS schöner. (Viele andere Smartphonehersteller sehen das offenbar auch so.) Aber in den Läden liegenbleiben wird das 4S nicht, sondern genauso vom Fließband runter verkauft werden wie die Vorgänger.

Ja, der Aktienkurs ist zwischenzeitlich um fünf Prozent eingebrochen. Mal davon abgesehen, dass sich durchaus fragen lässt, ob Apple nicht eh trotzdem überbewertet ist: Wir wissen ja, dass Börsianer und Analysten immer rational und überlegt handeln und grundsätzlich nur richtige Entscheidungen treffen.

Es ist nicht so, als wäre Apple am Ende. Dass die Traum-Marktanteile mit immer mehr Konkurrenz im Markt nicht zu halten sind, ist klar. Dass Android iOS deutlich überholt hat, wenn man nur die Smartphone-OS-Verteilung betrachtet, ist auch richtig. Aber bei seinen Zahlen kann Apple bislang ganz gut mit der Android-Konkurrenz leben.

Das iPhone 4S schließt technisch die Lücke zu einigen Androids und hat mit Siri, der iCloud und iOS 5 ein paar interessante Karten im Ärmel. Gerade die iCloud: Es gibt einen Grund, dass Apple die Zahl von 250 Millionen iOS-Geräten präsentiert. Und der liegt nicht nur darin, dass es die größte Zahl ist, die sie zeigen können. Es zeigt die Schlagrichtung auf: Ein Ökosystem mit verschiedenen Zugangsgeräten, die vernetzt sind und vernetzt funktionieren. Auf verschiedenen Geräten am gleichen Projekt weiter arbeiten, den gleichen Film weiter sehen, das gleiche Buch lesen – so einfach wie möglich.

Statt der geweissagten Low-Budget-iPhones gab es neue Preispunkte für die alten Modelle. Auch das ist überlegter, als mancher denkt. Günstigere Geräte können weitere Käuferschichten erschließen und sich mit Androids anlegen – ohne dass ein abgespecktes, gegen sie schlecht aussehendes iPhone die Marke schädigt. Schließlich handelt es sich ja um ein altes Gerät. Was hätte man denn bei neuen bitte weglassen sollen, ohne sie zu brutal zu kastrieren? Speicherplatz? Retina-Display? Voilà – 3GS.

Wer dabei nur an die westlichen Märkte denkt, springt mental zu kurz.
Es gibt einen Grund dafür, warum Cook als erstes von den neuen Stores in China erzählt hat. Der besteht nicht darin, dass er jubelnde Menschen zeigen wollte. Da hätte er auch nach Hamburg gehen können.

Und was das Ende des Hypes angeht: Wie viel haben Sie denn im Vergleich über das Anfang kommender Woche präsentierte neue Nexus gelesen?

Ich nehme in den Kommentaren übrigens noch Wetten an, wann die Gerüchteküche in Sachen iPhone 5 wieder zu brodeln beginnt.

[DISCLAIMER: Dieser Text stammt vom Mittwoch und hätte Donnerstag Morgen online gehen sollen. Aus naheliegenden Gründen habe ich das verschoben. Da ich das Thema aber wichtig finde, folgt er heute. Geändert hat sich nur ein Satz.]

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen