Mittwoch, 23. Mai 2012

"Social Media is about made-up stats" - Vom Spaß mit Zahlen und Infografiken

Jeder kennt sie, nicht jeder schätzt sie: Flotte Erklärvideos, die mit schnittiger Animation, vielen Grafiken und Zahlenspielereien Themen präsentieren, von Social Media über Multichannel-Commerce bis hin zu Anti-ACTA- oder Urheberrechtsclips. Untermalt von schmissiger Retortenmusik stellen sie im schlimmsten Fall die Film gewordene Powerpoint-Präsentation dar.

Den Schwung der positiven Energie und der launigen Darstellung wollen dann einige nicht mit langweiligen Fakten bremsen. Soll heißen: Das präsentierte Zahlenwerk wird handverlesen, zurecht gebogen oder gleich in Handarbeit erstellt (vulgo: erfunden). Quellenangaben fehlen. Bei Social-Media-Themen lässt sich zumindest noch die Web-2.0-Variante der C14-Datierung vornehmen - das Alter des Clips kann man an der genannten Zahl von Facebook-Usern ablesen. 

Zur schlechten Art dieser Clips - denn es gibt auch viele, die sehr gut gemacht sind, das hier wird keine Grundsatzkritik - hat Poke jetzt eine großartige Parodie gemacht: Social Media Revolution.



Ein launiger Clip, der nicht nur wunderschön heiße Luft aus manchen Promotion-Clips lässt, sondern auch einige der Probleme mit dieser Art von Video und Infografiken schön zeigt. 

Denn Reiz wie Gefahr dieser Art der visuellen Informationsvermittlung liegen darin, dass diese grafische Präsentation unmittelbarer, eingängier und unterhaltsamer wirkt als nackte Zahlen. Das ist einserseits förderlich, kann aber andererseits dazu führen, dass sie weniger kritisch geprüft, sondern schlicht hingenommen werden. Und dann greifen hier die gleichen Manipulationsmöglichkeiten, wie sie Zahlenwerk immer bietet.

Da werden dann einzelne Werte handverlesen ausgesucht und Dinge verglichen, die sich nicht vergleichen lassen. Quellenangaben finden sich selten, so dass die Validität der Daten gar nicht geprüft werden kann. Es ist ja nicht ersichtlich, ob die Grundlage für die 70 Prozent der Menschen, die das, was ich gerade meinem Zuschauer verkaufen will, ganz großartig finden, aus einer repräsentativen Umfrage stammen, aus vorhandenem Material schief sekundär abgeleitet sind oder den Anteil der Passanten angeben, die ich während der Mittagspause in der Fußgängerzone behelligt habe. 

Viele definieren Begriffe um: Aus der Zahl angemeldeter Accounts werden zum Beispiel auf einmal aktive User. Oder die Untersuchung fragt, ob man etwa jemals im Leben schon Location Based Services genutzt habe und erklärt im Ergebnis flugs jeden, der das auch nur einmal getan hat, zum aktiven Verwender - "X Prozent der Deutschen nutzen bereits...". Gerne stehen auch hinter beeindruckenden Prozentzahlen gestufte Auswahlprozesse: "80 Prozent derjenigen, die Dienst X gut finden und Produktgruppe Y nutzen, finden Z total toll" - auch wenn das dann am Ende noch fünf Leute aus der Stichprobe sind. 

Nicht zu vergessen den Klassiker bei grafischen Darstellungen: Das Phänomen, dass die tatsächlichen Zahlenwerte und Diagrammflächen von verglichenen Kategorien so gar nicht im Verhältnis zueinander stehen. Dann fällt der Kreis für Marke A eben doppelt so groß aus, auch wenn sie in nackten Zahlen nur 10 Prozent mehr als der andere auf die Waage bringt.

Einen Ehrenplatz erhält zudem des Technikjournalisten liebster Freund, die "bis zu"-Angabe. Da schafft das Auto dann  "bis zu" X Kilometer, der Akku hält "bis zu" X Stunden oder die Datenverbindung schafft "bis zu" X kb. Man muss sich nicht länger mit Statistik beschäftigt haben, um zu wissen, dass Maximalwertangaben zur Beschreibung einer Verteilung eher ungenügend sind. Denn die Bedingungen werden ja gern charmant weggelassen. Das Auto schafft bis zu X Kilometer, mit Rückenwind und bergab. LTE schafft bis zu X Übertragungsgeschwindigkeit, von einem Labortisch auf den anderen. Der Smartphone-Akku hält bis zu X Stunden, wenn der Mond im Sternzeichen Zwilling steht und das Handy vorher 30 Minuten in Jungfrauenblut eingelegt wird.

Weniger kunstvoll, aber auch anzutreffen ist zudem die Thilo-Sarrazin-Methode: Ich erfinde eine Zahl und sehe sie als gesetzt, wenn ihr keiner widerspricht.

Kurz: Mit Zahlen und Grafiken lassen sich viele Dinge schön veranschaulichen, aber auch sehr schiefe Bilder zeichnen. Infografiken und -Videos sind eine schöne Sache, aber man sollte die Angaben genauer in den Blick nehmen. Wie bei reinem Zahlenmaterial natürlich auch. Es kann durchaus Gründe haben, wenn jemand vor Frohsinn und Dynamik so übersprudelt, dass er genaue Referenzen und Quellenangaben weglässt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen