Einen Wert hat die Frage jenseits von Polemik aber auch. Denn Fake-Profile, gekaufte Likes und ähnliche Spielchen existieren und stellen ein Problem dar.
Ein paar Zahlen:
- Facebook gibt selbst zu, dass grob 50 Millionen der Nutzerprofile Fakes sind.
- Ex-Wired-Mann Kevin Kelly kam in einer Analyse seiner Google+-Follower zu dem Ergebnis, dass 36 Prozent davon Geister sind, die nicht existieren.
- So sehr sich der US-Politiker Newt Gingrich über seine 1,3 Millionen Twitter-Follower freut, tatsächlich echt sind davon nur acht Prozent.
Der Coup de grâce: Dieses Video hat 68000 Views auf YouTube. Es zeigt 1 Minute und 47 Sekunden lang Farbe beim Trocknen.
Worauf ich hinaus will?
Es existieren nicht nur stattliche Anzahlen von gefälschten Accounts und Bot-Netzwerken, es gibt auch Leute, die deren Dienste kaufen und bei Social-Media-Kampagnen einsetzen. Während es bei Kelly jetzt egal ist, wie viele Geister ihm aus freien Stücken folgen, zeigt die Nummer mit der trocknenden Farbe (und wohl auch Gingrichs Twitter-Account), wie simpel es ist, sich digitales Publikum zu kaufen. Denn das Farbvideo war ein Test der Los Angeles Times, die Views für rund 50 Dollar bestellt hat. Traffictechnisch erzeugten vermutlich nicht mal Bots direkt die Views, sondern Facebook-Anzeigen mit falschen Inhalten.
Hätte jetzt ein Farbenhersteller seine gewitzte Agentur mit diesem bahnbrechenden Viral beauftragt (hey, man weiß nie, ob nicht jemand auf solche Ideen kommt), würde sich der Kunde am Schluss vielleicht sogar einen Ast über Views freuen, die genauso gekauft sind wie das Video.
Immerhin hätten das aber zumindest zum Teil echte Menschen gesehen. Noch irrwitziger wird das Ganze bei gekauften Fans und Followern. Es stellt kein Problem dar, über entsprechende Websites oder auch eBay Fans zu überschaubaren Kosten einzukaufen.
Geisterzähler
Das ist aber reine Augenwischerei. Es schönt eine Zahl, die ohnehin als Metrik bedeutungslos ist. Denn über das Ausmaß des Erfolgs mit Social Media lässt sich daran wenig bis gar nichts ablesen. Sie taugt nur als Heuristik, als Indikator für den ersten Augenschein.
Das gilt erst recht mit Blick auf die satten Geister-Zahlen bei Kelly. Die sind - weil sein Account zu den von Google+ vorgeschlagenen gehörte - sicherlich überdurchschnittlich hoch. Nichtsdestotrotz stellen diese Geister bei Facebook, Twitter & Co. einen spürbaren Anteil dar. Auch bei Accounts, die sie nicht einkaufen. Dort wollen die Bots entweder Daten sammeln oder sich durch ein gestreutes Following-Muster abtarnen. Oder es handelt sich um reine Test-Accounts. Nichtsdestotrotz: Sie verfälschen die Zahlen, die wir zu Social Media haben.
Wer also als entscheidenden Zielwert Fanzahlen vorgibt, setzt auf quantitative statt qualitative Ziele und sucht sich dafür einen Wert aus, der im Wesentlichen das eigene fehlende Verständnis illustriert. Anders gesagt: Wenn Marken versuchen, diese Zahl mit unsauberen Mitteln in die Höhe zu drücken, dann ist das so beeindruckend wie der Streit zweier Kindergartenkinder, wer mehr imaginäre Freunde hat.
Die Web 2.0 Claqueure
Aussagekräftiger sind Metriken zur Interaktion: Die Zahl der Likes, der Plusse, der Shares, der Retweets, der Kommentare, der Klicks auf die Inhalte und ähnliches.
Natürlich lassen sich die ebenfalls kaufen. Das sind dann echte Web 2.0 Claqueure – selbst wenn die Klicks von Bots stammen. Auch damit lügen sich die Verwender aber nur in die Tasche oder ihre Auftraggeber und Vorgesetzten an. "20.000 Bots finden unseren Facebook-Post gut" hilft nämlich rein gar nicht weiter – obwohl sich der Return on Investment hier wunderschön unproblematisch berechnen lässt. Gekaufte menschliche Klicker würden ebenfalls nicht wirklich was bringen.
Auf Twitter, YouTube oder Google+ mögen sich so ja noch Kampagnen anschieben lassen – um in die Trending Topics, angesagten Videos oder Beiträge zu kommen. Ein Modell, das analog zu den Anschubkäufen im Musikgeschäft funktionieren würde, um in die Charts vorzustoßen und dadurch eine Lawine der Eigendynamik in Bewegung zu setzen. Auf Facebook allerdings kann das eigentlich außer einer potenziellen Schönung des Edgerank nicht wirklich weiterhelfen. Es würde maximal die Beiträge bei den echten Usern, die mal geklickt haben, in der Sichtbarkeit erhöhen. Wäre mit Facebook Ads aber auch machbar und hilft zudem nicht weiter, wenn sie die gezeigten Inhalte nicht interessieren.
Stattdessen bläst es Statistiken auf und verschlechtert den tatsächlichen ROI. Kurz: Die Fake-Profile bringen eher wenig, dafür verfälschen sie Daten und machen den klaren Blick auf Dynamiken schwerer. Auch was ganz generelle Betrachtungen zu Social Media angeht.
Was kann hier Abhilfe schaffen? Wenig, außer besserer Kontrollen durch die Social-Media-Plattformen selbst. Natürlich lassen sich auch unternehmens- oder agenturseitig durch Analyse Fakes identifizieren und Accounts bereinigen, das stellt aber einen gewissen Aufwand dar. Auf Unternehmensseite wären zwei Dinge hilfreich, die aber aus mehreren Gründen: Ein tatsächliches Verständnis der möglichen Metriken und Konzepte, die vernünftige Zielsetzungen formulieren.
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