Wenn es um das Zusammenspiel von TV und Web oder generell um die Weiterentwicklung des Fernsehens geht, ist ein aktuell viel gebrauchtes Schlagwort Social TV. Meist geht es dabei dann darum, wie sich die ohnehin stattfindenden Gespräche der Zuschauer auf Twitter und Facebook bündeln und einhegen lassen, wie Programm-Check-Ins & Co. zur Fanbindung und Steigerung der Loyalität eingesetzt werden können.
Das ist alles interessant, ich will jetzt aber in eine etwas andere Richtung denken. Weg vom Einhegen, hin zum multimedialen Storytelling und der Kommunikation. Und ich rede hier jetzt nicht über die anderen Möglichkeiten, die Webshows bieten, sondern darüber, wie Produzenten und Sender bei klassischen TV-Programmen diese Plattformen einsetzen.
Quelle: AMC |
Es geht darum, wie normales TV das Netz einsetzen kann, um offener und interaktiver zu sein, Geschichten anders erzählen zu können. Erläutern werde ich es an einer Reihe von Beispielen. Und es dürfte nicht überraschen, dass die fast ausschließlich aus dem US-Bereich stammen.
Die Voraussetzungen - Das Netz ist (m)eine Bühne
Serien- und Showproduzenten haben, wenn es um Facebook, Twitter, Blogs & Co. geht, einen ganz natürlichen Startvorteil: Emotional aufgeladene Inhalte und Geschichten. Sie betreiben ohnehin Storytelling, ihr Geschäft sind Inhalte, die ihre Zuschauer interessieren und im besten Fall fesseln. Ihr Kerngeschäft liefert also die Munition fürs Netz. Denn das ist ja die erste Grundregel, egal ob es um Corporate Blogs oder Facebook-Strategie geht: Es braucht relevante Inhalte, die die Zielgruppe auch interessieren. Und die liefert nun mal nicht jedes Branchensegment. Natürlich kann auch ein Tütensuppenhersteller die Web-2.0-Offensive ausrufen. Er muss nur bei den Inhalten sehr nutzwertig denken, um auf Interesse zu stoßen. Denn die Homestory vom Mischungsaustüftler interessiert mich genausowenig wie die Frage, ob die Beutel denn von glücklichen Robotern abgefüllt werden.Bei Serieninhalten lässt sich das Grundinteresse an weiteren Informationen aber schon mal als gegeben annehmen. Genau wie bei den Twitter-Aktivitäten von Stars und Sternchen.
Die Aktivitäten rund um Sendungen lassen sich grob in drei Bereiche einteilen:
Sendungsverweise
Noch am nähesten am schlichten Einhegen und Begleiten der Fans liegen Sendungsverweise via Facebook und Twitter. Formate wie das Akte-X-artige Fringe oder die Gaunerserie Leverage erinnern so vor Sendungsbeginn die Ost- oder Westküste, dass es wieder Zeit zum Einschalten ist und ermuntern zum Verwenden von GetGlue oder anderen Apps. Als Aktivität geht das noch nicht besonders weit, setzt aber trotzdem schon mal einen Impuls zum Einschalten, zum Dranbleiben. Denn klassischerweise verlieren TV-Programme während ihrer Lebenszeit Zuschauer. Diese bei der Stange zu halten, ist also nicht unwichtig. Trotzdem fällt das als Aktivität noch eher in die Rubrik lapidar. Spannender wird es bei sendungsbegleitenden oder -unterstützenden Ideen.Sendungsbegleitende oder Sendepausen überbrückende Konzepte
Denn während Sendungsverweise eher reine Push-Kommunikation darstellen, um die Fans auf der Couch zum Einschalten zu bewegen, setzen sich die Akteure bei sendungsbegleitenden Konzepten quasi neben Sie und nehmen an der Diskussion in gewissem Sinne teil. Fringe etwa hat das gelegentlich durch Twitterbegleitung von Episoden versucht. Mit Schauspielern und Produzenten, die samt Hashtag die Folge auf Twitter begleiten. Die interaktive 140-Zeichen-Fassung des DVD-Audiokommentars, sozusagen.Bei der launigen Gauner-Serie Leverage bloggt Produzent John Rogers über die Produktion und veranstaltet Frage-und-Antwort-Sessions zu den einzelnen Episoden. Dazu gewährt er auch spannende Einblicke in die Drehs, in die typischen Abläufe im Writers' Room, den Ideenfindungsprozess oder den unterhaltsamen Wahnwitz, für US-Networks Serien zu produzieren. Und für die kürzlich gestartete Google+-Präsenz sind bereits Video-Hangouts mit den Darstellern angekündigt. Das wie Leverage bei TNT ausgestrahlte Krimi-Format The Closer begleitete die Produktion ebenfalls via Blog.
Fringe wiederum bietet eine ganze Reihe unterschiedlicher Videoclips und Extras auf seiner Seite feil. Die reichen von durch die Schauspieler beantworteten Fanfragen über Episoden-Teaser und Hintergrundclips zur Welt von Fringe bis zum Format Noble Intentions, in dem John Noble (der Walter Bishop spielt) einzelne Episoden kommentiert. Das lässt die Fans tiefer eintauchen und schafft für etwaige Neuankömmlinge oder Wiedereinsteiger Barrieren aus dem Weg - indem ihnen Clips das bisherige Geschehen erläutern.
Beim fulminant desolaten Breaking Bad nutzt Aaron Paul (der Jesse Pinkman spielt) Twitter auch mal in Drehpausen, um Fans eine Telefonnummer durchzugeben, unter der sie ihn anrufen können. Gewissermaßen die etwas zugänglichere Variante vom klassischen Gag wie etwa in 24, das in der Serie vorkommende Telefonnummern zu einem echten Anschluß am Set führen, wo bei Gelegenheit auch Cast & Crew abnehmen.
Und während in Deutschland eher darüber diskutiert wird, wer denn die Bildrechte hat und wie die durch User-Postings verletzt werden, rebloggt der offizielle Tumblr-Account der britischen Sci-Fi-Ikone Doctor Who eifrig Fan-Postings.
Dieses Aufgreifen von Zuschauerfragen und mehr oder weniger direkte Kommunikation erweitert das Sensorium der klassischen TV-Produktion. Es öffnet die hermetische Produktionswelt ein Stück für das Bühnenerlebnis, für direkte Kommunikation mit dem Publikum und direktes Feedback. Natürlich nur ein Stück weit und abhängig davon, in welcher Art man es betreibt. Aber es erweitert den Möglichkeitsraum. Selbst wenn Produzenten nicht zur dritten Variante greifen.
RichardCastle.net |
Multimediales Storytelling
Denn die letzte Variante erweitert die Plattformen und Kanäle, auf denen die Geschichte erzählt wird. Indem Charaktere und Storyline auch auf den anderen Monitoren jenseits des TV-Geräts stattfinden.Um bei Breaking Bad zu bleiben: Auf der Network-Website zur Serie gibt es nicht nur Antworten auf Fan-Fragen, sondern auch Blogs von Charakteren - die Nebenfigur des DEA-Ermittlers Hank etwa bloggt da die Geschehnisse aus der eigenen Sicht.In Deutschland versucht sich daran auch das RTL-II-Format Berlin - Tag & Nacht. Auf der Facebook-Seite zur Serie kommentieren die Figuren, posten Bilder und Videos. Damit agieren die Figuren quasi im Social Web. Und die Resonanz darauf ist groß: Inzwischen hat die Facebook-Präsenz mehr als zwei Millionen Fans.
(Ja, ein RTL-II-Format ist offenbar das auf Facebook beliebteste in Deutschland. Ich gebe euch einen Moment, um das Entsetzen sacken zu lassen.)
Und zu guter Letzt bleibt die humorige Krimiserie Castle von ABC, die die Ausdehnung der Fiktion besonders weit treibt: Die Hauptfigur Richard Castle (gespielt von Nathan Fillion), der als Krimi-Erfolgsautor mit der Polizei Fälle löst, tritt mit eigenem Twitter-Account, Facebook-Profil und eigener Website auf. Und das sind keine Alibi-Accounts, sie sind tatsächlich aktiv. Die Macher gehen bei Castle ja sogar so weit, dass es die fiktiven Krimis zu kaufen gibt.
Das ist freilich nicht brandneu, sondern passiert über die letzten vier, fünf Jahre hinweg. Aber es zeigt ein paar interessante Möglichkeiten auf. Möglichkeiten, die in Deutschland bislang eher wenig genutzt werden. Was auch damit zu tun hat, dass es bei eingekauften Lizenzen ein eher schwieriger Weg wäre. Trotzdem sollte es doch mehr Wagemutige als RTL II und den Tatort geben.
Es ist auch nur in Teilen "Social", das gilt aber meist, wenn wir uns mit diesem Begriff beschäftigen. So und anders bietet das Netz Möglichkeiten, die Fans stärker an sich zu binden, andere Aspekte der Geschichte und Produktion zu zeigen und sie teilhaben zu lassen. Und durch tatsächliche Interaktion erhalten auch TV-Leute einen Feedback-Kanal, der ihnen sonst fehlt. Das stellt schon eine Erweiterung der Kommunikation dar, selbst wenn es oft kein direkter Dialog ist. Der lässt sich auch nicht bis ins Letzte führen - letztendlich tritt schließlich eine Seite als professioneller Geschichtenerzähler auf und kann nicht alles bis ins kleinste Detail diskutieren.
Trotzdem lassen sich Dinge so offener und kommunikativer gestalten - oder aber die Narration auf anderen Wegen weiter spinnen. Auch klassisches TV ist nicht gezwungen, nur in den Grenzen der Mattscheibe zu existieren.
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