Willkommen zu den digitalen Spielen: So viel
Online wie jetzt zu London 2012 war bei Olympia noch nie – allein während der
Eröffnungsfeier zählte Twitter 9,66 Millionen Tweets. Und ARD und ZDF sind
ganz vorne dabei, wenn es um den trimedialen Wettkampf und das Online-Streaming
der Spiele geht – wie Kollegin Lena Herrmann lobend feststellt.
Interessanterweise schlagen sich die alten Damen
ARD und ZDF (wie auch ihre britische Cousine, die BBC) dabei weit besser als
der US-Sender NBC. Denn während hierzulande im Wesentlichen der VPRT über ARD
und ZDF grummelt, hielt sich #NBCfail übers Wochenende hartnäckig als Trending
Topic bei Twitter.
Mir ist bewusst, dass ich mit einem Text zu
NBCfail eher spät dran bin, das passt zum Thema aber irgendwie ganz gut. Denn
losgetreten hat den Netz-Ärger über die Olympia-Berichterstattung NBCs
Festhalten an der zeitverschobenen Ausstrahlung von Aufzeichnungen. Die Eröffnungszeremonie etwa
gab es erst Stunden später im TV, als Livestream war sie nicht mal im Netz zu sehen. Und die jetzt live gestreamten Sportarten setzen ein kostenpflichtiges Kabelpaket voraus. NBCs Fokus liegt auf den Stunden später in
der TV-Prime-Time ausgestrahlten Sahnestücken, also den Sportarten mit guten amerikanischen Medaillenchancen. Die darf sich das Fernsehpublikum dann mit stundenlanger Zeitverzögerung als Abendprogramm ansehen.
Das ZDF dagegen war bei der Eröffnungsfeier mit parallelem Livestream in
der Mediathek vorbildlich multimedial. Die Mainzer demonstrierten sogar
eindrucksvoll die Vorteile des Digitalabrufs - im Livestream konnte man sich
als Zuschauer den Kommentar von Wolf-Dieter Poschmann samt flankierender
"Experten" ersparen. Selten hat Web-TV so klar gepunktet. (Nochmals danke für den Mediathek-Hinweis an @KathrinM.)
Geht schlimmer als Poschmann? Ja, NBC.
Denn Poschmanns Begleiter zeigten eindrucksvoll,
wieso man nicht jedem Ex-Sportler als TV-Experten ein Mikro in die Hand drücken
sollte. Und Poschmann plagte die Angst des Sportmoderators vor der Leerstelle.
Mit untrüglichem Instinkt quatschte er gern im falschen Moment rein, erzählte
Belanglosigkeiten oder Falsches. Dafür schwieg er diplomatisch in dem Moment,
als auf Twitter Entsetzen und Belustigung über die Kleidung des deutschen Teams
hohe Wellen schlugen. Er nannte nicht mal diejenigen, die verantwortlich sind
für die himmelblauen respektive rosafarbenen Plastik-Bomberjacken, die für
Kritik von "Schlümpfe" bis "klischeehafter Seximsus"
sorgten. (Bogner.)
Doch wer sich da fragte, ob es noch schlimmer geht als Poschmann, dem sei
gesagt: Ja, NBC. Denn nicht nur verzichtete der US-Sender mit seinen exklusiven
Olympia-Senderechten auf einen Livestream, um das Ganze dann erst Stunden
später im TV zu zeigen. Er lieferte auch eine sehr eigene Begründung für dieses Manöver ab:
"It was never our intent to live stream the Opening Ceremony or Closing Ceremony. They are complex entertainment spectacles that do not translate well online because they require context, which our award-winning production team will provide for the large prime-time audiences that gather together to watch them."
Anders gesagt: Unser Publikum wäre zu blöd dazu,
den Livestream zu verstehen. Da traut das ZDF seinem Publikum also schon mal
deutlich mehr zu.
Noch schräger wird diese Begründung, wenn man
betrachtet, wie der tolle Kontext des Produktionsteams dann aussah: Als etwa in
der Eröffnungsfeier Tim Berners-Lee seinen Auftritt hatte, kam von Moderatorin Meredith Vieira:
"Tim Berners-Lee... if you haven't heard of him, [laugh], we haven't either."
Ganz toll, wie sie da Kontext zum Vater des World Wide Web geliefert hat, oder?
Nun muss eine amerikanische Show-Moderatorin
nicht zwingend wissen, wer die Väter des Internet sind, es wäre aber deutlich
professioneller, nicht auch noch on Air mit dem eigenen Unwissen zu
kokettieren. Noch dazu, wenn es sich um eine Aufzeichnung handelt. Was wiederum
bedeutet: Sie hielt es auch nicht für nötig, ihr Unwissen rechtzeitig zu
korrigieren.
This is for everyone - außer amerikanischem TV-Publikum
Im Netz währenddessen - naja, nicht
währenddessen, sondern einige Stunden früher, als die Feier tatsächlich
stattfand - sorgte Berners-Lee mit dem Tweet "This is for everyone #london2012
#oneweb #openingceremony @webfoundation @w3c" für
fast 10000 Retweets.
Das wirft die Frage auf, ob im Netz anders kommentiert würde, ob es nicht
einen Versuch wert wäre, zu sehen, was passiert, wenn man Online-Streams statt
(oder parallel zu) professioneller Moderation mit kuratierten Netzkommentaren
kombiniert. Zur Fußball-EM gab es da ja das interessante Experiment
Marcel-ist-reif.de.
Im Netz jedenfalls hätten sie gewusst, wer Berners-Lee ist. Und auch, dass
die Frau neben Gauck nicht seine Gattin war oder Pierce Brosnan kein Engländer
ist.
(Sollte stattdessen das IOC inspiriert vom Geschehen Krumm Kommentieren als
neue Disziplin aufnehmen, müsste Béla Réthy als großer Medaillenfavorit unbedingt
mitmachen.)
Sei's drum – Berners-Lees "This is for
everyone" konnte NBC jedenfalls erst recht nicht nachvollziehen. Denn in der dann tatsächlich ausgestrahlten
Aufzeichung der Eröffnungsfeier hat der Sender mal eben das Gedenken an die
Verstorbenen rausgeschnitten und lieber ein Interview mit Michael Phelps
gezeigt. Auch die Begründung
dafür muss zwingend
zitiert werden:
"Our programming is tailored for the U.S. audience. It's a tribute to Danny Boyle that it required so little editing."
Bei einer internationalen Veranstaltung den
Verstorbenen anderer Länder, auch Terroropfern, zu gedenken, ist dem US-Publikum
also laut NBC nicht zuzumuten oder würde es zumindest nicht
interessieren. Das bitte auf der Zunge zergehen lassen.
Zeitmaschine zur Umsatzsteigerung
Der eigentliche Grund für dieses Verhalten ist natürlich klar: NBC will aus dem Rohmaterial der olympischen Spiele eine möglichst zuschauer- und werbekundenträchtige Mischung schaffen. Und in Aufzeichnung lässt sich natürlich viel besser Werbung reinschneiden als in Live-Bilder. Deshalb bleiben die Online-Streams den Kabel-Kunden vorbehalten, deshalb tut NBC dann im Hauptprogramm so, als hätten sie ihre eigene Zeitmaschine.
Dass der Sender Rekordquoten vermeldet, könnte man nun zynisch als Beleg dafür nehmen, dass sie recht haben und ihre Zuschauer wirklich blöd sind. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Strahlkraft der Olympischen Spiele ausreicht, um diese Werte trotzdem zu erreichen. Mit einem etwas offeneren Konzept bliebe NBC aber die harsche Kritik von Nutzern und Medien erspart.
Mit Blick auf die kürzlich vergangene Fußball-EM:
Das ist ungefähr so, als hätten da Zeitungen, Internet und andere Sender
Stunden vor den den TV-Übertragungen der Spiele schon das Ergebnis gesagt. Über das ganze Turnier
hinweg, versteht sich. Die klassisch asynchrone Logik, datiert vor dem
digitalen Zeitalter.
Dass der Sender Rekordquoten vermeldet, könnte man nun zynisch als Beleg dafür nehmen, dass sie recht haben und ihre Zuschauer wirklich blöd sind. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Strahlkraft der Olympischen Spiele ausreicht, um diese Werte trotzdem zu erreichen. Mit einem etwas offeneren Konzept bliebe NBC aber die harsche Kritik von Nutzern und Medien erspart.
Eine Kritik, gegen die sich NBC im übrigen auch damit wehrt, dass es etwa den Twitter-Account des Journalisten Guy Adams sperren ließ. Denn der für The Independent tätige Adams hatte NBC dort schwer kritisiert und unter anderem die berufliche Mail-Adresse des NBC-Verantwortlichen getwittert, damit sich die User direkt bei dem beschweren können. Das führte zur Sperrung, weil er so unerlaubt private Information veröffentlicht habe. Das wirkt nicht nur kleinlich, es wird noch prekärer dadurch, dass NBC und Twitter in Sachen Olympia in den USA eine große Kooperation beschlossen haben. #NBCfail wird der Sender so jedenfalls nicht los.
Vielleicht wird das aber auch die nächste
olympische Disziplin: 140-Zeichen-Kommentieren und der Wettlauf darum, wer den
größeren Shitstorm anrühren kann.
UPDATE
Inzwischen sind Twitter und NBC in Sachen Guy Adams übrigens zurückgerudert. Der Account ist wieder offen, Twitter hat sich eine halbe Entschuldigung für den Vorfall rausgepresst, der unter dem Hashtag #twitterfail für Entrüstung sorgte. Der Ablauf klingt allerdings immer noch interessant:
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UPDATE
Inzwischen sind Twitter und NBC in Sachen Guy Adams übrigens zurückgerudert. Der Account ist wieder offen, Twitter hat sich eine halbe Entschuldigung für den Vorfall rausgepresst, der unter dem Hashtag #twitterfail für Entrüstung sorgte. Der Ablauf klingt allerdings immer noch interessant:
"The team working closely with NBC around our Olympics partnership did proactively identify a Tweet that was in violation of the Twitter Rules and encouraged them to file a support ticket with our Trust and Safety team to report the violation, as has now been reported publicly. Our Trust and Safety team did not know that part of the story and acted on the report as they would any other."Mehr dazu bei Techcrunch, Zeit Online oder Jeff Jarvis.
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