Die Daten, die jeder von uns so online hinterlässt, sagen
einiges über uns aus. Eigentlich. Aus dieser Datenflut lässt sich durch
Profilierung, Cookies, Targeting einiges herauslesen, Werbung aussteuern, für
die wir genau im definierten Zielsegment liegen. Eigentlich.
Deshalb wurde ich stutzig, als ich im Logout-Bereich meines
Freemail-Dienstes zufällig folgendes Werbemotiv sah:
"Befriedigen Sie jetzt Ihre Lust auf fremde Haut"?
Tschuldigung, was? Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber bei mir weckt das
eher Assoziationen an Buffalo Bill als an Seitensprünge. Und damit meine ich
nicht den skalpierenden Wildwest-Showman, sondern den Psycho aus Schweigen der Lämmer. Den, der Frauen die Haut abzieht, um sich eine Weste draus zu
schneidern.
Daraus folgt für mich die unangenehme Erkenntnis: Mein
Freemaildienst-Vermarkter United Internet Media hält mich offenbar für einen
Psychopathen, einen verkappten Serienkiller. Das kränkt irgendwie.
Denn für das
entsprechende Werbeformat auf der Logout Lounge (großartiger sprachlicher
Kunstgriff übrigens, um den Logout-Bereich aufzuwerten) bietet UIM durchaus auch seine Targeting-Lösung Target Group Planning an. Die steuert ihre
Zielgruppen nach Premiumklassifizierung, Soziodemografie, Interessen,
Lebensstil, Kaufverhalten und mehr an. Ich kann mich allerdings nicht
entsinnen, beim Ausfüllen der Profilinformationen und Interessen versehentlich
einen Haken hinter "Leute schlachten" gesetzt zu haben. Und trotzdem wird mir diese Psychopathen-Werbung angezeigt.
Insofern könnte man das nun achselzuckend als blödsinnigen
Fehler abtun, wäre da nicht ein Haken: Bei TGP handelt es sich um Predictive
Targeting. Vorhergesagtes, hochgerechnetes Verhalten. Gibt es also eine
buchbaren Datensatz à la "Männlich, zwischen 25 und 35, psychopathische
Tendenzen, wird irgendwann austicken"? (Dass ich mindestens eine Kollegin habe,
die dieser Einschätzung zustimmen würde, tut nichts zur Sache.) Nicht, dass UIM
am Ende mehr über mich weiß als ich und sich der Vermarkter als nächstes
Geschäftsfeld bereits kriminalistisches Profiling erschließt.
Aber lässt sich Profilbildung so weit treiben, dass man
sagen kann: "Wer weiß, welches Böse in
den Herzen der Menschen lauert? Der Werbevermarkter weiß es!"?
Oder handelt es sich schlicht um einen Brazil-artigen Fehler, eine fatale
Verwechslung, weil sich ein Festplattenkopf verschrieben hat? Dann bin ich
völlig unschuldig Opfer falscher Profilierung und Werbeaussteuerung.
Das blöde daran wäre: Ich kenne keinen Heizungsinstallateur,
der mich retten käme, wenn mich die Sicherheitsleute holen. (Obwohl, so gut hat
das jetzt auch nicht funktioniert.)
Dank ProSiebenSat.1 Digital weiß ich ja für alle Fälle schon, wie sich Zwangsjacken so tragen. |
Es könnte sich aber auch ein bedächtigeres Konzept handeln: Am Ende
führt das Werbemittel gar nicht zu einem echten Seitensprungportal, sondern
stellt eine clevere Falle der BKA-Cyberspezialisten dar. Einen Honeypot für
verkappte Psychopathen, die danach in kontrollierter Umgebung genau beobachtet
werden.
Das ist alles natürlich Unfug.
Die tatsächliche Antwort ist viel langweiliger. Das ist
einfach ein grottenschlechter Copy-Text, den ich auch noch aus humoristischen
Gründen falsch verstehen will. Und eine Billigplatzierung, bei der man sich
dank performancebasierter Abrechnung nicht groß die Mühe gemacht hat,
vernünftig auszusteuern. Der Grund, warum ich das sehe, ist aller
Wahrscheinlichkeit nichts anderes als ein achelzuckendes "User ist männlich,
zeigen wir ihm Online-Dating-Werbung an, passt schon". Wenn es überhaupt so
weit geht – wiederholtes Reload-Klicken lieferte mir auch Partnerbörsen-Werbung
für Frauen aus, die Werbung kann also auch völlig ungesteuert rausgefeuert
worden sein.
Die anderen Formate auf der Seite stützen jedenfalls diesen
Eindruck. Mein Interesse am Zillertaler Bergsommer, an Wanderwochen oder
Autokrediten fällt jedenfalls ähnlich bescheiden aus wie an
Online-Dating.
Dieses ungesteuerte Rausfeuern ist allerdings schade, weil
es die vielen Möglichkeiten des Targeting null nutzt, mir langweilige Werbung
serviert (über die ich höchstens einen schwarzhumorig-satirischen Blog-Post schreiben
kann, das war’s dann aber auch) und den Anbietern keine Klicks bringt.
Restplatz-Verramsche statt gegenseitigem Mehrwert.
Aber die Frage an sich ist schon interessant: Was ließe sich
denn aus vernünftig aufgebauten Profilen ableiten? Ich will hier keiner
Vorratsdatenspeicherung das Wort reden, die Frage interessiert mich auf der
abstrakten Ebene. Ließen sich über die Psychographie eines Nutzers belastbare
Aussagen treffen, allein aus seinem Onlineverhalten? Was sagt unser
Browserverlauf über unsere Persönlichkeit? In gewisser Weise ist das ja eine
der Grundhypothesen der Targeting-Profile wie auch der Überlegungen von
staatlichen Behörden, verstärktes Scanning von Social Media & Co. zu
betreiben. Ich meine hier nicht die offensichtlichen Sachen, wie den Besuch
einschlägiger Sites oder Foren, wie es bei Terroristen oder Amokläufern der
Fall ist. Sondern wirklich den indirekten Weg, das, was sich aus
Surf-Bewegungen ableiten lässt. Einiges vermutlich schon.
Lässt sich daher auf ein Fernszenario spekulieren, in dem
sich potenzielle Straftaten am Verhalten im Netz vorhersagen lassen? Stürmt ein
GSG-9-Team nach Minority-Report-Manier zehn Minuten später die Wohnung von
jedem, der zufällig einen Link klickt? Auf besserer Grundlage als "Der hat
gerade einen Online-Shooter gespielt" oder "Der hat allein heute Vormittag
sieben Windows-Absturzmeldungen an Microsoft gesendet, der klinkt garantiert
aus", versteht sich.
("Ich hab doch nur Würfel gekauft" stellt an dieser Stelle einen
Witz dar, den vielleicht sechs Leute verstehen, aber ein bisschen Elitismus darf
auch mal sein.)
Nein, auch das ist wieder Unfug. Dafür zeigt dieser Text aber
schön die Gefahren auf, wenn man zu spät in der Nacht noch seine Mails checkt
und dann auf Ideen für Satiren kommt. UIM trifft keine Schuld, versteht sich.
Naja. Ich schau jetzt mal nach, ob ich noch einen guten
Chianti habe.
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