Montag, 2. Juli 2012

Leistungspflicht statt Leistungsschutzrecht: Was Verlage eigentlich tun sollten


Fangen wir mit dem No-Brainer an: Die Medienbranche, insbesondere die Verlagshäuser, befindet sich mitten in einem Umbruchprozess. Wenn es allerdings um Konzepte geht, wie sie den digitalen Umbruch meistern und Online (wie auch Offline) geschäftlich erfolgreicher sein und mehr Umsatz erzielen können, ist die momentan auffälligste Idee das schwer umstrittene Leistungsschutzrecht. Garniert mit "Paid Content kommt ganz sicher"-Bekenntnissen.

Dabei wäre Hirnschmalz und Energie in die Weiterentwicklung von Projekten und Strukturen besser investiert. So könnte sich die Branche selbst helfen, statt offensiv dieses Konstrukt zu verfolgen, das ein wenig so wirkt, als hätten Manager irgendwo Jeff Jarvis’ Begriff Link Economy aufgeschnappt und gnadenlos falsch verstanden (Mit für Links zahlen hat das nämlich nichts zu tun.).

Von wegen alternativlos. Ein paar Vorschläge anbei.
Wie im Text zu Leistungsschutzrecht: Nicht Füllhorn für Verlage, sondern Büchse der Pandora (Langer LSR-Rant ist lang) schon angekündigt, im folgenden einige Zeilen dazu, worin Verlage ihre Zeit und Energie mit mehr Gewinn stecken könnten.

Legt das alte Handbuch weg

Die Forderung nach einem Konstrukt wie dem Leistungsschutzrecht verdeutlicht eins: Die Branche klammert sich (im Großen und Ganzen, natürlich gibt es lobenswerte Ausnahmen) an alten Konzepten fest. Heribert Prantl hat das in seinem hervorragenden Stück über die Historie des LSR über die letzten 175 Jahre hinweg betrachtet. So lange gibt es entsprechende Forderungen nämlich schon. Und an der Argumentation wie der Haltung dahinter hat sich nicht viel geändert. 

Diese alte Logik wird auch in den multimedialen Raum übertragen. Du willst mein Produkt nutzen, also zahlst du. Google zeigt unsere Inhalte, also sollen die gefälligst zahlen.

Diese Logik lässt sich aber nicht einfach so übertragen. Das Spielfeld und die Regeln sind anders. Was es braucht, sind tatsächlich digitale Konzepte – und multimedial aufgestellte Marken, die ihre jeweiligen Kanäle komplementär aufstellen und so, dass sie sich gegenseitig fördern. Es geht weder um Konkurrenz noch darum, dass die Website so was wie die nächste Regionalausgabe darstellt. Und bei Bezahlinhalten ist entscheidend, das richtige Angebot zu schnüren.

Die Vergangenheit ist Geschichte. Sie stellt einen wichtigen Referenzpunkt dar, aber sie bestimmt nicht die Zukunft. Auf den alten Gleisen weiterfahren hilft nicht.

Erstellt und kommuniziert Multichannelkonzepte

Stellen wir die erste Weiche für den mentalen Spurwechsel: Wisst ihr, was besser ist, als laut über die Kannibalisierung von Print durch die eigene Online-Marke zu lamentieren? (Ja, einige Medienhäuser können hier in den Spiegel schauen.) Dem Nutzer überhaupt mal erklären, wo die Unterschiede liegen.

Dass der Print und Online potenziell überhaupt für austauschbar hält, liegt ja an einem eklatanten Versäumnis: So gut wie kein Medienhaus kriegt es auch nur halbwegs hin, dem eigenen Publikum klar verständlich zu machen, wie sich seine Produkte voneinander unterscheiden, wie sich die verschiedenen Kanäle zur Gesamtmarke ergänzen. Dass [Printtitel] und [Printtitel Online] nicht deckungsgleich sind, sondern unterschiedliche Profile, unterschiedliche Ausrichtungen und (bis auf wenige Übernahmen) unterschiedliche Inhalte haben, ist uns in der Branche klar. Aber nicht dem Nutzer. Der setzt sich nicht hin und vergleicht akribisch Print-Exemplar und Website. Der kennt die Impressumsangaben nicht aus dem Effeff und weiß nicht, dass [Ein ehrwürdiger Print-Redakteur] niemals für Elektro-Kopisten schreiben würde. Der sieht eine bekannte Marke und geht danach, ob er interessante Inhalte findet und das, was er sonst noch sucht.

Anders gesagt: Wenn Leser bei einer Medienmarke Print und Online für austauschbar halten, dann liegt das daran, dass wir ihnen verdammt noch mal nie erklärt haben, wo die Unterschiede liegen.

In Teilen ist das historisch bedingt: Am Anfang der Webauftritte sollte ja die Printmarke ihre Strahlkraft im digitalen Raum entfalten. Und der Anteil übernommener Inhalte war oft hoch. Da ging es darum, das als kongruent zu positionieren. Mit der Emanzipation der digitalen Kanäle hat sich das aber geändert – nur hat sich keiner die Mühe gemacht, das zu kommunizieren.

Hausaufgaben erledigen

In Teilen lässt sich diese ausbleibende Erklärung des Multichannel-Markenkonzepts auch ganz simpel erklären: Es gibt keins.

Zumindest kein detailliertes, das klar festlegt, was welcher Kanal macht und wie sie miteinander in Verbindung stehen. Auch hier, weil es in Teilen schlicht gewachsene Strukturen sind und je nach Situation angeflickt und angepasst wurde. Das mag man als organische Entwicklung verstehen, es hat nur mit Maßarbeit nichts zu tun.

Entsprechende Konzepte wären aber notwendig, die auch festlegen, wie sich die Kanäle ergänzen. Und Nutzer von A nach B verweisen können. Es dürfte interessant sein, hier ein Auge auf Burdas Cover zu halten, vom Unternehmen als medienneutrale Marke geplant, in der eine Marke über fünf Kanäle funktionieren soll – aus einem Inhaltepool gespeist. (Auch wenn es neben der guten Idee natürlich entsprechende Strukturen braucht, um zu funktionieren.)

Das kombiniert mit Verweisen auf den jeweiligen Kanälen, was es darüber hinaus auf den anderen zum gleichen Thema gäbe, schafft ein Gesamtbild. Und macht Unterschiede deutlich. Diese Verweise sollten die Wege dann kurzmöglichst halten - kein "irgendwo da drüben steht auch was dazu". (Das gilt im Übrigen in jede Richtung. Ein Printverweis auf Online im Stil von "und die anderen Bilder, die wir nicht genommen haben, findest du irgendwo auf der Website" bleibt auch weit hinter den Anforderungen zurück.)

Es geht um ein komplementäres Markenmosaik mit klaren Verbindungen und Brücken zwischen den Teilen.

Paradebeispiel für einen sinnfrei-peinlichen Verweis von Print auf Online. Kein Mensch tippt so einen Link ab.


Wenn mir Mobile und Online klar machen, was ich darüber hinaus noch in Print / ePaper erhalten könnte, steigt da auch das Interesse. Denn was bei der ganzen Kannibalisierungsdiskussion gerne unter den Tisch fällt, ist eine ganz simple Erkenntnis: Die Reichweite der Online-Auftritte ist höher als die der Print-Titel. Daraus folgt, dass sich diese Reichweite durchaus gewinnbringend zum Eigenmarketing nutzen ließe. Indem man Nutzern zeigt, was es noch gäbe.

Es geht folglich nicht darum, dass ich meinen Inhalt online "verschenke". Sondern darum, dass ich eine größere Reichweitenbühne nutze, um ihn ins rechte Licht zu rücken, zu zeigen, was ich bieten kann.

Übernommene Print-Inhalte können hier als Schlaglicht dienen – "das und mehr finden Sie in der gedruckten Ausgabe". Oder in einem vernünftig gestalteten Bezahl-Bereich. Letztendlich hängen wir nicht an Trägermedien. An Verkaufs- und Refinanzierungsstrukturen schon, aber nicht am Papier.

Damit verbunden könnte auch ein funktionierender Paid-Content-Ansatz sein. Neben den Abo-Angeboten notwendig ist sicher auch ein Micropayment-Ansatz – der Abruf einzelner Artikel oder das Surfen am aktuellen Tag auf schnellem, unkompliziertem Weg. Und Micro heißt dann auch wirklich Kleinstbeträge – nicht fünf Euro für eine Bildergalerie. (Das stellt keine satirische Überspitzung dar, auch wenn ich mir das wünschen würde. Es ist leider ein echtes Beispiel.)

Denn natürlich brauchen Verlage Konzepte, wie sie jenseits von Werbung mit ihren Inhalten online Geld verdienen. Aber statt Konstrukten, die man polemisch als Einführung von Paid Content durch die Hintertür charakterisieren könnte, sollten Medienhäuser lieber daran arbeiten, das, was sie als Paid-Content-Konzepte anbieten, wirklich bis zum Ende durchzudenken.

Von Apple lernen, Teil 1: Man soll Leute, die einem Geld geben wollen, nicht aufhalten

Das bedeutet, sie sollten Apple nicht als Retter sehen (der Traum ist ohnehin geplatzt), aber von Apple lernen. Was Apple und auch Amazon konsequent richtig machen, ist simples Bezahlen. Man sollte es generell Leuten, von denen man Geld sehen will, so einfach wie möglich machen, zu zahlen. Simple, schnelle Prozesse sind gefragt.

Statt simpler Pay-Buttons bieten Verlage aber gern Abokonzepte an. Klar, das ist gelernt, das kommt aus dem Kerngeschäft und ist aus Medienhausperspektive ja auch praktisch: Der Nutzer hinterlegt brav seine Daten und zahlt regelmäßig. Ist dann ja eigentlich auch egal, ob er die Inhalte liest. Naja, nicht ganz – ab und an sollte er schon klicken, damit ich ihn in der Reichweite ausweisen kann. Aber sonst…

Nutzer wollen aber nicht erst Registrierungsformulare ausfüllen, um an einer abgesenkten Bezahlschranke vorbeizukommen. Da braucht es Dinge, die möglichst nah an der 1-Klick-Lösung liegen. Das verringert gleichzeitig die Zahl potenzieller Absprungpunkte, in denen Nutzer es sich anders überlegen. Zudem ist auch ein Sammelsurium von Pay-Optionen nötig, um möglichst jegliche User-Präferenz bedienen zu können. 

Stattdessen gibt es Abo-Optionen mit Registrier-Formular. Unterstützung von Paypal, ClickandBuy & Co.? "Kommt dann im vierten Quartal." Da ist der Nutzer aber schon längst weg.

Von Apple lernen, Teil 2: Lernt den Wert von Singles zu schätzen

Nein, ich will hier nicht vorschlagen, dass Verlage alle Online-Partnerbörsen aufmachen sollen. Mir geht es um Singles im Sinne der Musikindustrie. Die hatte zum Start von iTunes auch üble Bauchschmerzen dabei, nicht nur Alben, sondern einzelne Songs zu verkaufen. Das ist nachvollziehbar: Der Albenverkauf war gelernt, vor allem ließen sich so mit einigen starken Nummern sonst eher maue Gesamtpakete schnüren und mit Preisschildern versehen. Aber das Sträuben hat der Industrie nichts genutzt, sie mussten lernen, einzelne Songs zu verkaufen.

Und letztendlich hat das – auch dank vernünftiger Preisstrukturen – nicht zum Tod des Albums geführt. Weil es oft immer noch bequemer ist oder dem eigenen Geschmack entspricht, das ganze Album zu kaufen und darauf auch überraschende Perlen zu finden oder die Nummern, in die man sich erst reinhören muss.

Und gute Singles können Lust darauf machen, das ganze Album zu kaufen.

Soll heißen: Es geht darum, aus freien und kostenpflichtigen Inhalte einen Gesamteindruck so zu komponieren, der vom Interesse und den allgemeinen Informationen über herausragendere Stücke zu längerer, auch kostenpflichtiger Bindung führt.

Nehmen wir das Prantl-Stück vom Einstieg. Das wurde auf Twitter & Co. schon als Tipp erwähnt, als es nur in Print verfügbar war. Als es einen Tag später dann online stand, wurde es entsprechend weiterempfohlen im Netz. Ich zähle zu denen, die es via Twitter weiterempfohlen haben. Hätte ich auch einen kostenpflichtigen Artikel verlinkt? Klar. Würde ich – umgekehrt – einen mir aus meinem Netzwerk ans Herz gelegten Text, dessen Teaser und Einstieg mein Interesse verstärkt, mit einfacher Bezahloption kostenpflichtig abrufen? Durchaus vorstellbar.

Dazu muss man mir diese Option aber geben – und nicht Inhalte möglichst gut verstecken, gar nicht erst die eigene Reichweitenbühne nutzen, um schlaglichtartig hervorzuheben, was es sonst noch gäbe. 

Dabei geht es im Übrigen auch nicht darum, ob das denn originär ein Print-Artikel ist - sondern darum, ob er gut und relevant genug ist, um Nutzer zum Zahlen zu bewegen. Dass ich immer wieder auf Print referiere, liegt daran, dass dort der Verlegerfokus liegt - und dass komplett digitale Inhalte die Reichweitenbühne von vornherein haben.

Noch mal: Lasst die Finger von dem verflixten Handbuch!

Wenn die entsprechende Bindung da ist, dann kommt der Nutzer regelmäßig vorbei, dann bedient ein Abo die Bedürfnisse beider Seiten. Es kann aber nicht der erste Schritt sein. Verlage sollten auch hier das alte Handbuch weglegen und weniger jammern, wo sie denn dann die Kundendaten her bekommen. (Ja, ich hab's genau gesehen. Keine Diskussion - weg damit!)

Denn erstens lässt sich nach entsprechender Gewöhnungsphase sicherlich ein Angebot schnüren, für das der Nutzer Daten eingeben muss. Das wird er dann auch eher tun, die Erfahrungen im Netz zeigen, dass Nutzer mit ihren Daten nicht knausern, so ihnen das Angebot entsprechend viel wert ist. Und zweitens verrät der Besucher einen ganzen Haufen über sich, auch ohne Registrierformular. Man muss nur hinsehen. Welche Bereiche er besucht, welche Inhalte er abruft, wann und woher er kommt. Das stellt alles kein Hexenwerk dar, sondern Web-Standard. Und darüber lässt sich auch fein Werbung aussteuern - die Nummer mit dem Premiumumfeld riecht nämlich auch verdächtig nach Papier.

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