Durch den Siegeszug von Smartphones und Tablets (ok, iPads) stoßen Berührungssteuerungen auf zunehmend mehr Begeisterung bei Entwicklern und Endnutzern. Mit der Technologie Touché hat Disney Research nun ein Konzept entwickelt, das Touch-Steuerung auf so ziemlich alles übertragbar macht: Türknäufe, Tischflächen, selbst der menschliche Körper lässt sich als Interface nutzen. Sogar der Kontakt mit Flüssigkeiten lässt sich als Steuerungsprozedur verwenden.
Quelle: Disney Research Demo-Video. |
Von wegen Display-Uhr, über die ich dann Programme auf meinem Smartphone steuern kann, ohne es aus der Tasche zu ziehen: Mit Touché bräuchte der Nutzer nur zwei schmale Armbänder, um Befehle per Handstreich auszuführen - auf der eigenen Haut. Mit zwei Fingern in die Handfläche klopfen stoppt dann etwa den Musikplayer. Dafür braucht es nur einen Draht, vielleicht noch eine Elektrode.
Kleiner Exkurs für diejenigen, die noch am Begriff Disney Research hängen geblieben sind: Nein, das ist keine Fantasie und kein Special Effect für den nächsten Film, das ist ernst gemeint. Und ja, Disney hat eine Forschungsabteilung, die sich auch mit Interface-Technologie und ähnlichen Dingen beschäftigt. Wer sich fragt, warum das ausgerechnet Disney macht: Walt Disney war immer auch technologieinteressiert. Das Unternehmen hat die Mehrfachebenen-Kamera für Trickfilme entwickelt (Schneewittchen und die sieben Zwerge), für die eigenen Theme Parks ging es frühzeitig um den Bau von Animatronics-Figuren. Davon mal abgesehen ist Disney zu einem großen Moloch gewachsen, in dem sich so ziemlich alles findet - mit dem Disney Institute gibt es sogar einen Arm für Unternehmensberatung. Und deren Ratschläge umfassen durchaus mehr als sich Mickymaus-Ohren aufsetzen, damit man die Kündenwünsche besser hört.
Das Konzept von Touché wirkt bestechend simpel: Die entwickelte "Swept Frequency Capacitive Sensing"-Technologie ist eine Fortentwicklung der normalen kapazitiven Messung, wie sie auch in Touch-Displays zum Einsatz kommt. Im Grunde wird hier eine elektrische Spannung auf die Oberfläche gelegt und deren Veränderung erfasst, die durch den leitenden Kontakt (etwa mit menschlichen Fingern) entsteht. Touché macht das auch, misst aber eine ganze Bandbreite von Frequenzen, nicht nur einzelne. Daraus entstehen kapazitive Profile - die Spannungsveränderung fällt anders aus, je nachdem wie viel Kontakt besteht und mit welchem Material. Anders gesagt: Es ergibt sich ein meßbarer Unterschied zwischen der Berührung mit einem Finger, zwei Fingern, der kompletten Hand oder auch dem Ellenbogen - weil verschiedene Gewebetypen unterschiedlich leiten und unterschiedliche Widerstände erzeugen.
Gestensteuerung ohne Display und Schalter
Um diese Veränderungen am Objekt messen zu können, braucht das Team von Disney Research nur einen einzigen Draht am Objekt. Wenn es nicht selbst leitet, noch eine Elektrode dazu. Das bedeutet, dass es am Objekt nur einen überschaubaren Aufwand mit sich bringt, es verschiedene Gesten und Berührungen erfassen zu lassen, die dann der auswertende Rechner erkennt und entsprechende Befehle in Bewegung setzt. Und wir reden hier von so ziemlich jeder Art von Gegenständen. Türgriffe, Tischplatten, der eigene Körper.
Schalter oder eigene Displays sind dann gar nicht nötig, um aus Alltagsgegenständen Smart Devices zu machen. Der Sensor reicht, um etwa (wie im Forschungsprojekt vorgeführt) Türgriffe oder Schreibtischplatten zu verdrahten. Dann ließen sich durch bestimmte Berührungen Befehle auslösen - wenn die Türklinke mit der kompletten Hand zugezogen wird, verriegelt sie automatisch, wer sie mit einem Finger zuzieht, hinterlässt den Kollegen eine "Bin in fünf Minuten wieder da"-Nachricht. Ein Demonstrationsvideo fasst das Konzept gut zusammen:
Tische und andere Flächen ließen sich so für Gestensteuerung nutzen, weit günstiger, als der Einsatz kompletter Displaytische wie Microsofts Surface ist. Natürlich auch mit weniger Möglichkeiten. Und neben der Frage, wie gut sich das Studienkonzept in die Praxis umsetzen lässt, setzt die kapazitive Messung bei Schreibtischen etwa voraus, dass es keine Störungen gibt - sprich, er aufgeräumt ist. (Wer Schreibtische wie den meinen kennt, weiß, wo hier das Problem liegt.)
"Die tiefgreifendsten Technologien sind diejenigen, die verschwinden"
Aber die Möglichkeiten, die sich perspektivisch bieten, sind spannend. Insbesondere, wenn man die Touch-Steuerung für Alles vor dem Hintergrund des Internets der Dinge betrachtet. Gegenstände, die nicht nur in gewisser Form online sind, sondern sich auch via Gestensteuerung ohne weitere Schaltflächen oder Fernbedienungen bedienen lassen, eröffnen neue Wege der Interaktion, der Interfacelogik ohnehin. Der Tisch, der Stuhl, der Kühlschrank, der Fußboden - alles vernetzt und als Interface für Befehle nutzbar, um sie selbst oder andere Objekte zu steuern. Der Computer als solcher verschwindet weiter, tritt noch mehr in den Hintergrund, was ihn gleichzeitig ubiquitärer macht. In den Worten des "Internet of Things"-Vordenkers Mark Weiser, den auch die Studien-Autoren anführen:
"The most profound technologies are those that disappear.
They weave themselves into the fabric of every day life, until they are indistinguishable from it."
Die Bedienung über Berührung simpler Gegenstände, über Körpergesten baut Barrieren ab, macht den Vorgang unmittelbarer. Um allerdings auf die Idee zu kommen, sie dazu einzusetzen, Kinder auf den richtigen Umgang mit Besteck zu drillen (wie im Video gezeigt), muss man wohl bei Disney arbeiten. Desgleichen kann man sich berechtigt fragen, ob es - gesellschaftlich betrachtet - schlau oder wünschenswert wäre, Couch Potatoes die Bedienung des Fernsehers durch Noch-weiter-im-Sessel-runterrutschen zu ermöglichen.
Generell gilt es abzuwarten, was von Touché sich für welchen Zweck dann auch tatsächlich im Einsatz finden wird - jenseits vom Disney-Eigengebrauch. Aber die vorstellbaren Szenarien sind spannend. Smarte Gegenstände, Wohnzimmer und Häuser ein Stück näher gerückt. Und jedes Bild der Zukunft setzt sich aus einer ganzen Reihe von Mosaiksteinen zusammen.
Kleine Leseliste:
Disney Research’s “Touché” is Touch Control on Another Level
Disney researchers put gesture recognition in door knobs, chairs, fish tanks
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