Am vergangenen Freitag gewährte die dpa (und in der Folge Medien wie etwa Spiegel Online) Einblicke in Parallelwelten. In einer hatte vor Gericht YouTube gegen die GEMA gesiegt, in der anderen nicht. Die Verwirrung im Netz, wo sich etwa auf Twitter User fragten, ob jetzt Welt Online oder Spiegel recht haben, war aber kein Anzeichen für den Zusammenbruch der Mauer zwischen den Universen. Bei uns musste keine Variante der Fringe Division ausrücken, um Löcher zwischen den Dimensionen zu flicken. Bei uns hatte nur die dpa Mist gebaut - und in der Kette auch andere.
Weil es mal wieder nur um Geschwindigkeit ging und Sorgfalt dabei auf der Strecke blieb. Klar war das Urteil im Streit zwischen YouTube und GEMA um Musikvideos heiß erwartet, sicher brachte es Traffic, der erste zu sein, der es verkündete. Aber je schneller ich fahre, desto verschwommener nehme ich Details wahr. Bis sie schließlich komplett verschwinden. Oder, wie hier, die Geschwindigkeit so entscheidend wird, dass ich bei irgendwas jenseits der 88 Meilen pro Stunde schwupps in eine neue Zeitlinie gerate. Als Nutzer wäre ich jedoch gern korrekt informiert statt bloß schnell und so, dass ich mit der Information auch etwas anfangen kann. Traffic hin, Traffic her, "schnell sein" darf gegenüber "recht haben" nicht den Vordersitz einnehmen. Denn die dpa-Korrektur war nach fünf Minuten da, danach konnte man schön beobachten, wo die Tickermeldungen wann einlaufen.
Im Meldungsstakkato nach der Urteilsverkündung durfte man sich das Bild nämlich Stück für Stück selbst zusammensetzen. Wie die Chronologie des Ganzen bei Bildblog zeigt, hat auch die AFP Blödsinn verkündet - nämlich, dass YouTube von den 12 umstrittenen Titeln fünf Videos weiter zeigen dürfe. Auch das war höchstens in einer Parallelwelt so - in unserer wies das Gericht die GEMA-Beschwerde zu diesen Titeln aus formellen Gründen ab, konkret aus dem Grund, dass sie gar nicht mehr auf YouTube verfügbar waren.
Das Aberwitzige daran ist, dass einige das offenbar gar nicht geprüft haben. Eigentlich war aber die weitaus wahrscheinlichere Entwicklung, dass die GEMA siegt. Wenn das nicht eintritt, sollte man auf jeden Fall stutzig werden und die Begründung dazu liefern können. Auch im eingetretenen Fall gehört die eigentlich logisch dazu - um das Ganze einzuordnen. Stattdessen sind einige voll aufs Gas getreten und die Wahrheit durfte ihnen dann hinterher hecheln. Mit mehr Zeit, insbesondere mehr Nachdenkzeit, wären die Meldungen aber sicher besser geworden statt eine Blamage. Die fünf Minuten reißen es schließlich nicht raus, gerade, wenn außer einem vermeintlichen Fakt keine weitere Begründung enthalten ist.
Wir sind alle Sieger?
Insbesondere bei einem Urteil, das für die weitere Entwicklung im Streit zwischen Plattformen, Anbietern und Verwertern sowie Urhebern eine wichtige Richtungsweisung darstellen kann, wäre die korrekte Information wie auch die vernünftige Einordnung eine ganz entscheidende Dienstleistung der Medien. Auch, weil die Parallelwelten-Theorie weitere Unterstützung durch die offiziellen Statements der Prozessgegner erhielt. Da hatte, wie bei solchen Urteilen üblich, jeder danach irgendwie gesiegt. Die GEMA mit den zu entfernenden Liedern und neuen Kontroll-Pflichten für YouTube ohnehin, aber auch das Videoportal, wenngleich etwas weniger. Dafür sah YouTube-Mutter Google auch den Rest des Internets als Sieger, irgendwie:
Das Urteil ist ein Teil-Erfolg für die Musikindustrie, für unsere Nutzer in Deutschland sowie für Künstler, Komponisten, YouTube und andere Internetplattformen.
Diese Art kognitiven Kommunikations-Jiu-Jitsus ist üblich, als Unternehmen kann man schließlich nicht verloren haben, so wie auch jedes Unternehmen irgendwie führend ist. Den Meistern dieser Kunst zu lauschen hat durchaus etwas abstrakt faszinierendes.
Im konkreten Fall geht es aber gar nicht um Verschleierung: Sie haben tatsächlich beide recht und beide in Teilen gewonnen, was nicht nur der Urteilsspruch, sondern auch dessen Analyse zeigt. Die GEMA hat (erstinstanzlich wohlgemerkt, das Ganze könnte sich also noch einige Ebenen weiterziehen) Recht damit bekommen, dass YouTube für Verletzungen auf der Plattform haftet und sich nicht auf die momentanen Mechanismen zurückziehen kann. YouTube wiederum kann beruhigt feststellen, dass das Hamburger Gericht nur eine Störer-Haftung geltend macht - mithin nicht die Google-Tochter als treibende Kraft und den eigentlichen Content-Anbieter sieht.
Das hilft YouTube und auch anderen Plattformen. Googles Pressesprecher liegt zudem damit richtig, dass das Urteil vielen anderen weiterhilft. Denn bei den vielen ungeklärten Fragen zwischen Internet und deutschem Recht voranzukommen, bringt uns wirklich etwas. Schließlich ist - auch wenn das Jaulen im Netz teils etwas anderes vermuten ließe - der GEMA-Etappensieg durchaus logisch und nicht der Untergang des Abendlandes. Wenn die GEMA als Rechtevertreter hier Verletzungen geltend macht, erledigt sie nach aktueller Rechtslage schlicht ihren Job. Und dann ist es durchaus sinnig, dass YouTube nicht nur die Rechtsverletzungen abstellen muss, sondern auch dafür Sorge zu tragen hat, dass sie nicht gleich wieder auftreten.
Natürlich ist nicht nur das deutsche Urheberrecht, sondern auch die GEMA dringend reformbedürftig - daraus folgt aber nicht, dass "Tja, das ist halt so" die richtige Haltung gegenüber dem Stand der Dinge auf YouTube ist. Wenn aus dem Urteil das folgt, was sich momentan abzeichnet - die Rückkehr an den Gesprächstisch, damit beide Seiten endlich zu einer Einigung in Sachen Vergütung kommen - dann hilft das in der Tat weiter. Vertretbare Vergütungshöhen und generelle Reformen würden uns ebenfalls deutlich weiterhelfen.
Urteil und Folgen vertieft darzustellen und einzuordnen wäre die tatsächlich wichtige Medienleistung. Wer stattdessen blindlings Falsches verbreitet, reißt zwar keine Löcher in die Wand zwischen den Welten. Wohl aber in die eigene Glaubwürdigkeit. Und das wird dann auch wieder integritätsschädigend.
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