In den letzten Tagen fällt mir eins wieder besonders negativ
auf: Der elende Dualismus, der in medialen und Online-Reaktionen gerne
herrscht. Aktuell zu sehen an den Reaktionen auf Sergey Brins Kritik an
Facebook, Apple und ihrem Gegenentwurf zum Open Web sowie – auch Teil von Brins
Konzern – dem Feedback zu Google+, aktuell redesign-bedingt. Dinge sind
entweder ganz großartig oder der letzte Schrott, zwischen dem nächsten großen
Ding / Facebook-Killer und dem totalen Flop gibt es nichts.
Bild: Thomas G. Kristensen, used under CC |
Das nervt.
Zunächst im stilistischen Diskurs, sichtbar an den
Reaktionen auf Brins Kritik an Apple und Facebook, der sie als Bedrohung für
die Entwicklung des Internet ausmacht und feststellt, dass er in dem Umfeld
Google überhaupt nicht hätte aufbauen können.
Flugs wird ihm Scheinheiligkeit attestiert, vorgerechnet,
was Google sich alles leiste und überhaupt, Don’t be Evil und so. Es gibt hier
aber keinen Dualismus. Nur, weil es seine Geschäftsinteressen berührt –
natürlich profitiert Google davon, wenn Seiten und Inhalte für seinen Crawler
offen sind – hat er nicht automatisch unrecht. Natürlich gibt es auch Kollegen, die das
differenziert darstellen, aufdröseln, was wie zu bewerten ist und wo dabei auch Google steht, Johannes Kuhn etwa. Aber andere sehen’s halt als politisch motivierte
Facebook-Dresche und gehen bequem über die sonstigen Inhalte hinweg. Das ist zu simpel.
Als reflexhaftes Framing wird der Dualismus am Beispiel
Google+ sichtbar: Zwischen Facebook-Killer und Geisterstadt gilt nichts. Außer
noch die bundesrepublikanische Adaption des Wild-West-Bilds Ghost Town, „das
nächste StudiVZ“.
Dieses Schwarz-Weiß-Denken blendet die vielen Grautöne aus,
die die Realität erst ausmachen. Und schafft dadurch gemeinsame Umrisse für
Dinge, die sich schlicht nicht vergleichen lassen.
Bei diesem Thema heißt das konkret: Ein für sich allein
stehendes Social Network wird mit einem Social Layer für Googles Portfolio
gleichgesetzt. Was Unfug ist. Denn Google+ muss nicht Facebook das Wasser
abgraben, um für Google ein Erfolg zu sein. Es stellt vielmehr eine verbindende
Hülle für das Google-Portfolio dar. Insofern handelt es sich gar nicht nur um
schönende Arithmetik, wenn Google in die aktiven User von Plus jeden mit
Account einrechnet, der einen der verknüpften Dienste eingeloggt nutzt. Bei
einem reinen Social Network wäre eine Verweildauer von 3,3 Minuten nach
ComScore durchaus dramatisch (bei Facebook sind’s mehr als 400 Minuten). Bei
einem Layer, dass die verschiedenen Dienste mit einer sozialen Komponente und
vor allem einem gemeinsamen, der besseren Personalisierung dienenden Account
verknüpft (so der User es zulässt und sich einloggt) ist die tatsächliche
Verweildauer im Social-Zweig nur ein Aspekt. Dafür sind dann 100 Millionen User
gar nicht so schlecht.
Auch insgesamt nicht, denn auf der anderen Seite wird nämlich
ein Dienst wie Pinterest für 300000 deutsche User hochgejazzt. Natürlich hakt
auch dieser Vergleich. Aufgrund unterschiedlicher Startvoraussetzungen,
unterschiedlicher Dienste und vor allem unterschiedlicher Dynamik. Die relative
Entwicklung, die Wachstumsrate macht hier ja den Unterschied.
Das gilt erst recht für Dinge, die für tot erklärt werden.
Ein schönes Beispiel: MySpace. Für eine Leiche sind fast 25 Millionen Unique
User in den USA (Januar 2012 nach ComScore) ganz ordentlich. Noch Mitte letzten
Jahres war MySpace das zweitgrößte Social Network in den USA.
Tot heißt hier nicht kurz vor der Abschaltung. Tot heißt
ohne Wachstum, schrumpfend (mithin schlimmster Albtraum der Finanzmärkte) und
kein Business, mit dem sich relevant Geld verdienen lässt. Was sich durchaus
mit dem Neustart ändern kann.
Passt aber nicht so in Schwarz-Weiß-Erklärschemata, weniger
gut in Headlines oder 140 Zeichen.
Nicht falsch verstehen: Die Zuspitzung, die Reduktion von
Komplexität sind wichtige Bestandteile, um Dinge besser verständlich und
erklärbar zu machen. Aber Dichotomien führen zu weit. Besonders, wenn sich dieser Denkansatz nicht nur durch die Überschrift, sondern durch komplette Äußerungen und Meinungen zieht. Er blendet die
Abstufungen und Zwischentöne aus. Dann wird jedes neue Tablet entweder der
iPad-Killer oder ein totaler Flop, jeder neue Social-Dienst zum nächsten
Facebook, jede Debatte über Urheberrecht zum Lagerkampf.
Die Realität ist aber weitaus komplexer. Und dem sollten wir
gerecht werden.
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