Mittwoch, 8. Februar 2012

Clint Eastwoods Chrysler-Werbespot: Runter von meinem Rasen, ihr ausländischen Automarken!

Auch wenn die große Aufmerksamkeit der Spots aus dem Super-Bowl-Werbeblock hierzulande dicken Hunden, Samsungs iPhone-Schelte oder per Xenonlicht verdampften Vampiren galt – eine der gelungensten Spotpremieren lieferte Clint Eastwood für Chrysler ab. Über kaum einen Spot wurde via Social Media so stark diskutiert wie über "Halftime in America", kaum einer hat so viele Videoreaktionen auf YouTube neben sich stehen, kein anderer ist in die Wahlkampfdebatte der US-Politiker miteinbezogen worden.

All das, weil der Zweiminüter der Agentur Wieden + Kennedy richtig gut gelungen ist, er die richtigen Knöpfe drückt und mehr als Inspirational denn als stumpfe Auto-Abverkaufe daherkommt. Und damit den Kontext, in dem er gelaufen ist, so perfekt bedient.

Ich kann jeden verstehen, der sich aus europäischer Perspektive bei dieser "America the Brave"-Nummer nicht angesprochen fühlt. Aber betrachtet man ihn in dem Kontext, für den er gedacht war, dann hat er seine Zielgruppe wohl genau an der richtigen Stelle getroffen.
Natürlich ist Eastwoods Ansprache pathosgetränkt und der Subtext der Hymne auf amerikanische Stehauf-Mentalität ein simples "Buy American". Natürlich wirkt es in Teilen wie das hyperpatriotische Rally-around-the-flag in einem Michael-Bay-Film, das eingeschoben wird, weil die Special-Effects-Typen gerade wegen akuter Erschöpfung behandelt werden müssen.

Aber genau das dürfte funktionieren. Diese Art Filmszene wird ja auch nicht umsonst eingesetzt. Und der Kontext des Spots ist nun mal die Halbzeitpause des Super Bowl – eine Gelegenheit, zu der US-Amerikaner sich nur geringfügig weniger patriotisch fühlen als am Independence Day.

Wenn da ein sonorer Clint Eastwood den Vergleich zieht zwischen der Spielhalbzeitpause, in der sich die Teams überlegen, wie sie gewinnen können, und der wirtschaftlichen Lage Amerikas, dann trifft das für viele den richtigen Ton. In dem Moment, in dem er sagt "It’s halftime in America, too. People are out of work, and they are hurting. And they’re all wondering what they’re gonna do to make a comeback", da haben zig Amerikaner vor dem Fernseher mit dem Bier in der Hand genickt.

Was folgt, ist feinste Hollywood-Dramaturgie und -Bildkomposition für diese Art inspirierender Wagenburg-Ansprache.




Da kann der dicke Hund gerne weiter Käfer fangen gehen. Es gibt kaum amerikanischere Sätze als "All that matters now is what’s ahead" oder die Schlussformel "This country can’t be knocked out with one punch. We get right up again and when we do, the world’s gonna hear the roar of our engines."

Freilich ist damit weder in europäischen Werbeblöcken noch bei Werberfestivals wie in Cannes viel zu wollen. Aber im Super-Bowl-Kontext dürfte das ein klarer Touchdown sein. Allein in YouTube-Views hat er inzwischen 4,4 Millionen geholt – VWs Dog Strikes Back liegt bei 8 Millionen, hat aber fast eine Woche Vorsprung. Mit 95000 Social-Media-Kommentaren in der ersten Dreiviertelstunde nach Ausstrahlung war Halftime in America der zweitpräsenteste Spot – Eastwood musste sich nur David Beckham geschlagen geben.

(Das muss nicht viel heißen, gegen Bilder von Beckham in Unterwäsche habe selbst ich via Twitter protestiert.)

Eine Debatte, welche die anderen Spots fraglos nicht vorweisen können, ist das politische Folgescharmützel. Am staatstragenden Ton des Autospots stoßen sich nämlich die Republikaner. Weil sie es für eine "Hey, Obama, danke für den Bailout"-Aktion halten.

Zudem verstehen die Paranoideren unter ihnen "Our second half is about to begin" als Anspielung auf eine zweite Amtszeit Obamas. Und die Republikaner können gerade ganz generell keine Positiv-Nachricht im Stil von "Was Detroit kann, können wir alle" gebrauchen.
Ganz davon abgesehen, dass einige deshalb beleidigt sind, weil Halftime in America ein wenig auch wie der Gritty Reboot eines alten Ronald-Reagan-Spots wirkt. Nur war damals zu Zeiten von It’s Morning in America alles noch ein wenig rosiger. 2012 sieht alles schlicht düsterer aus als 1984. (Wir könnten an dieser Stelle auch den No Hope, No Cash, No Jobs-Witz bemühen, aber lassen wir das.)

Das Staatstragende im Spot ist denn auch gewollt, wenngleich ohne politische Präferenz. "It was meant to be a message ... just about job growth and the spirit of America. I think all politicians will agree with it", sagt Eastwood zu dem Thema – und das dürfte auch genau die Botschaft sein, die ihn gereizt hat. Eastwood ist absolut in der Lage, die emotionale Verbindung mit amerikanischen Autos im Film zu inszenieren, eine Rolle als Autohändler dürfte ihn dagegen weniger interessieren.

Das gehört auch zu den gelungenen Aspekten dieses Spots: Er funktioniert als patriotisches Inspirational und als Autospot. Nirgendwo in dem Spot sagt Eastwood "Buy American" – das ist nur die Folge dessen, wenn Detroit quasi Amerika verkörpert. Es ist kein Negativ-Spot, er stellt sich nicht mit dem Karabiner in der Hand hin und knurrt "Runter von meinem Rasen, ihr ausländischen Automarken". Er behauptet nicht, dass diese Japsen-Schüsseln auseinanderfallen oder Krauts-Karren alle in Flammen aufgehen würden, wenn man links blinkt, während das Radio läuft. Es ist nur schlicht eine Folge des Zusammenrückens und des Schließens der Wagenburg, dass es dann "uns" und "die anderen" gibt.

Das kann Image-mäßig durchaus funktionieren. Da hat Detroit nach Wirtschaftkrise, Bailout und ja, auch nach dem Chrysler-Verkauf an Fiat ohnehin einiges auszubügeln.

Und auch wenn ich weder einen Chrysler noch ein wehendes Star-Spangled Banner in meinem Besitz brauche – gegen Eastwoods "Leute, uns haut’s nicht das erste Mal um. Hoch mit euch und weitermachen. Wir kriegen das hin" habe ich nichts einzuwenden. Das ist gut.

Das funktioniert als inspirierende Ansprache, das dürfte auch in anderen Kontexten zu aktuellen Stimmungslagen passen. Insofern wird es spannend sein zu sehen, was mit dem Spot noch passiert. Ob ihn sich der ein oder andere als Mem-Vorlage einverleibt etwa und sich das Ganze vom Chrysler-Kontext entkoppelt. Das durchaus Demokraten-nahe Center for American Progress hat sich den Spot jedenfalls schon gegriffen.

Bitte? Was das Ganze mit Nullen und Einsen zu tun hat? Äh, Social Media, Mem und so?

Nein? Tja, dann… - runter von meinem Rasen!

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