Sonntag, 21. April 2013

Netzespresso: BlabDroids oder Wie Roboter eine Doku über Menschen drehen

Stellt euch vor, ein putziger kleiner Papproboter rollt auf euch zu und fragt euch mit heller Kinderstimme, ob er euch ein paar Fragen für eine Doku über Mensch-Maschinen-Beziehungen stellen kann. Was würdet ihr tun? Und was würdet ihr tun, wenn euch der kleine Kameramann fragt, was das schlimmste ist, das ihr je getan habt, wen ihr am meisten liebt, was ihr völlig aufgegeben habt? Genau das will BlabDroids mit dem Filmprojekt Robots in Residence herausfinden.


Die Robo-Kameramänner. Bild: Screenshot von Blabdroid.com.

Die Zusammenarbeit zwischen dem Filmemacher Brent Hoff und dem MIT-Roboterbastler und Künstler Alexander Reben will die erste von Robotern gedrehte Doku der Welt fabrizieren. Dazu schicken sie auf Festivals die Roboter - Cubies genannt - unters Volk, jeder ausgerüstet mit Kamera, Lautsprecher, Sensoren, die feststellen, ob sich vor ihm ein Mensch befindet, und einem Set aufgezeichneter Fragen.

Die werden teils recht persönlich - denn der Mensch-Maschine-Aspekt der Doku besteht eigentlich darin, herauszufinden, wie viel Menschen einer Maschine anzuvertrauen bereit sind. Wie intensiv und auch emotional sie mit ein paar Schaltkreisen in einem Pappkarton interagieren. Die Theorie von Hoff und Reben lautet, dass Menschen mit Robotern mindestens so offen interagieren wie mit einem Menschen, vermutlich sogar offener. Denn die Cubies sind darauf ausgelegt, möglichst niedlich und harmlos auszusehen. Dass ihnen ein Siebenjähriger die Stimme leiht, ist auch kein Zufall.

Ein Blick auf den Trailer:


Mit der Gestaltung der Cubies wollen Hoff und Reben bei ihren Interviewpartnern emotionale Reaktionen und Zutrauen auslösen. Als Unterbau des Ganzen zitieren die BlabDroids-Macher den von Computerforscher Joseph Weizenbaum Mitte der 60er festgestellten Eliza-Effekt. Benannt nach (ja, überraschungsfrei) Eliza, der Urmutter aller Chatbots. Denn was Weizenbaum damals bei dem Unterprogramm Doctor feststellte, war, dass Menschen mit dem Chatprogramm interagierten, als wäre es ein lebendes, verständiges, gar fühlendes Wesen. Aus den simplen, einprogrammierten Reaktionen des Programms lasen sie Verständnis und Empathie heraus. Im Kern geht es darum: Wir Menschen tendieren dazu, unsere Umwelt zu antropomorphisieren. Dem Haustier, dem Computer, selbst dem Auto menschliche Eigenheiten und Verhaltensweisen anzudichten und uns entsprechend zu verhalten.

(Tiere sind hier im Prinzip ein Sonderfall, weil sie als Lebewesen natürlich reagieren. Aber nicht zwingend nach den menschlichen Maßstäben, mit denen ihre Besitzer dann interpretieren.)

Der Trailer zu Robots in Residence und der erste Filmteil, entstanden im Umfeld des International Documentary Film Festival Amsterdam, zeigen das auch auf faszinierende Weise. Da antworten Menschen bereitwillig auf die Aufforderung, der mit Pappe verkleideten Kamera etwas zu erzählen, dass sie noch keinem Fremden erzählt haben. Geben Antworten darauf, was das schlimmste ist, das sie je getan haben, vor welchem Fehler, den sie selbst begangen haben, sie andere warnen würden. 

Die schon fast intimen Momente, die dabei entstehen, wären in der Tat mit einem Menschen, der eine Kamera in der Hand hält, schwerer vorzustellen. Der Entfremdungseffekt durch das dann zwischen den Menschen stehende Gerät hebt sich auf, wenn das Gerät selbst spricht - und so gestaltet ist, dass es "niedlich" und harmlos aussieht. Die Menschen öffnen sich der Ansammlung aus Schaltkreisen im Pappkarton, reden mit ihr, erzählen. Vergessen, dass sie nicht mit einer auch nur irgendwie intelligenten oder fühlenden Entität sprechen. Der Effekt hier ist - zumindest in manchen der gezeigten Sequenzen - auch deshalb so beachtlich, weil Cubie weitaus weniger responsiv ist als Eliza. Eliza nämlich war immerhin darauf programmiert, auf die Sätze des Gegenüber zu reagieren, indem das Programm Sätze als Fragen wiederholte oder Schlüsselbegriffe bestimmte Reaktionsmuster auslösten. Cubie reagiert nicht im geringsten. Der Kasten spult eine Reihe aufgezeichneter Fragen ab, damit hat es sich auch. Und trotzdem reden manche ganz vertraulich mit ihm, nehmen Gesprächsteile und Reaktionen wahr, die es überhaupt nicht gibt.

Hier der sehenswerte 13-Minüter aus Amsterdam:


Robots in Residence stellt in zweifacher Hinsicht ein Festival-Projekt dar. Zum einen filmen Hoff und Reben auf Festivals - erst in Amsterdam, kürzlich dann auf dem Tribeca Film Festival in New York. Zum anderen stellen ein Doku- und ein Filmfestival auch die Orte dar, wo diese Art filmischen Experiments präsentiert wird. In New York war Robots in Residence auch Teil des Storyscapes-Programms zu transmedialen Projekten, das Material wurde dort gezeigt.

Aber der Ansatz wie die ersten Ergebnisse haben schon was faszinierendes. Denn das Konzept funktioniert. "We are robots. We are the new modes of representation. We are your best hope for knowing yourselves." heißt es auf der Projektwebsite. Und in der Tat kann das aufgehen, dass die sich nicht einmischenden Roboterkameras am Ende Einblicke in die Menschen und ihre Gefühlswelt geben, die es mit einem normalen Kamerateam so nicht gegeben hätte. Die Antropomorphisierung tritt in Kraft, Menschen vermenschlichen die Kameras. Das sagt nichts über die aus, aber doch einiges über die menschliche Natur. Wie auch die Antworten, die manche auf die Fragen geben.

Inzwischen haben die BlabDroids-Macher auch eine Kickstarter-Kampagne aufgesetzt und träumen davon, die Roboter in Serie zu produzieren, damit fast jeder seine eigene Robo-Doku drehen kann. Das wird ein Traum bleiben, wenn man einen Blick auf die Unterstützerzahl wirft. Aber vielleicht beißt ja eine findige Werbeagentur oder Marke an. Ein Hingucker-Stunt ließe sich damit allemal bewerkstelligen.



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