Montag, 13. Mai 2013

"Sozial" heißt nunmal nicht "gut" - Unsere dunkle Seite in Social Media

Wenn Menschen über Social Media sprechen, dann begehen sie oft einen Fehler, den sie auch außerhalb von Netzthemen gern machen: Sie setzen "sozial" mit "gut" gleich. Das aber ist ideologisch aufgeladender Unsinn - sozial heißt schlicht gesellschaftlich. Überspitzt gesagt stellt jemandem eine runterhauen genauso soziales Verhalten dar wie jemandem die Hand schütteln. Es liegt gesellschaftliche Interaktion vor. 

(Gut, dem geregelten Zusammenleben ist mit gewisser Wahrscheinlichkeit letzteres förderlicher, aber es geht ums Prinzip.)

Insofern ist der Begriff Social Media ein sehr treffender - denn was wir auf Twitter, Facebook & Co. sehen, ist menschliches Verhalten in seinen positiven wie negativen Facetten. Ein Spiegel, der zwar manches verzerrt, der von vielen auch dafür verwendet wird, sich möglichst positiv darzustellen, der aber doch auch die Schatten, die Schwachstellen, die Häßlichkeiten zeigt.

Bild: Alexander Klaus  / pixelio.de

Soziale Plattformen geben Menschen in vorher ungeahntem Ausmaß die Möglichkeit, das, was sie erleben, denken und tun, mit anderen zu teilen. Das Problem: Was Menschen denken und tun ist nicht immer nett. Und das spiegelt sich im Netz wider.

In einem längeren Blogpost hat ein Facebook-Moderator(*) mal seinen Arbeitsalltag beschrieben:

"Imagine going to work every day and at the start of your day, with your first cup of coffee, you sit down to glance at beheadings, children in the process of being raped, human bodies in various stages of decomposition, the living and dead results of domestic violence, hanging bodies of 10 year old boys accused of being gay, real-life snuff films and bloody dog fighting rings and their subsequent results. Can you think up a human horror? I’ve probably seen it or a picture or video of something very similar."

(* Der Blog-Autor behauptet, für Facebook als Moderator zu arbeiten. Überprüfen kann ich das nicht, aber sein Bericht deckt sich mit dem, was andere erzählen.)


Die häßliche Verbohrtheit im Spiegel

Facebook macht - dazu habe ich auch schon gebloggt - keinen guten Job bei der Moderation von Inhalten, was an kruden Richtlinien, an schlecht bezahlte, nicht ausgebildete Moderatoren irgendwo in Marokko ausgesourcten Prüfvorgängen, plumpen Algorithmusentscheidungen und wohl auch fehlendem Problembewußtsein liegt. Darum geht es mir hier aber gerade gar nicht.

Das ist hier nicht der entscheidende Punkt. Es gibt Menschen, die derartige Untaten begehen, und das spiegelt sich im Netz, ist auch regelmäßiger Inhalt von Social Media. Das ist aber nicht die breite Masse der Nutzer und der Dinge, mit denen sich die Moderatoren herumschlagen müssen. Die sind trivialer, banaler:

Die Nickligkeiten und verbohrten Engstirnigkeiten. "It offends me that nearly 80% of the manual reports I have to read are from people who find themselves offended by something", schreibt der namenlose Moderator. Und nennt Beispiele:
  • “I don’t believe in this coin. It goes against what I believe in.”
  • “This fish doesn’t look like a fish, it looks like a man’s private parts, and I have small children around me during the day.”
  • “I saw this on my feed and I do not approve please take it off.”
  • “This page shared my picture without credit or permission.”
  • “Can you remove this picture I don’t like it.”
  • This is not true, my God would never let this happen.
Nickligkeiten und Getue. Selbstgerechte Empörtheit darüber, dass Menschen es wagen, andere Meinungen zu haben. Man könnte auch sagen, die Bösartigkeit, die aus trivialer, banaler Engstirnigkeit entsteht.

Auch das sind wir, auch das bildet uns als Menschheit und menschliche Gesellschaft ab. Dass es in der Welt Monster gibt und somit auch im Netz, das ist klar. Wenn tatsächliche Verbrechen über das Netz bekannt oder in ihm begangen werden, dann ist es wichtig und notwendig, sie zu verfolgen. Erschreckender ist aber eigentlich diese Engstirnigkeit. Nicht nur, weil sie - wie der Moderator schreibt - dazu führt, dass tatsächliche Greuel im Befindlichkeitsrauschen untergehen. Sondern weil sie ein flächigeres Phänomen darstellt. Das Nicht-Ertragenkönnen und selbstgerechte Absprechen anderer Meinungen und Haltungen.

Die Hölle, das sind die anderen, wie es bei Sartre heißt.

Social Media ist nicht "nett", weil wir es nicht sind.

Wir müssen für Beispiele derartigen Verhaltens gar keine Fälle aus den USA bemühen. Im März etwa wurden dem WDR-Moderator Domian Facebook-Beiträge gelöscht. Kirchenkritische und sich für Homo-Ehe aussprechende. Nach lautstarker Entrüstung entschuldigte sich Facebook für den "Fehler". Doch was hier wahrscheinlich passiert ist, ist im System angelegt: Wenn genug Menschen Beiträge melden, entscheidet der Algorithmus. Oder eben ein nicht wirklich professioneller Moderator.

Das heißt: Es gab genug Menschen, die das so nicht stehen lassen wollten, sich angegriffen fühlten von Meinungen, die sie nicht teilen.

Andere fangen dann an, verbal um sich zu schlagen. Bei vielen Shitstorms lässt sich beobachten, wie einige durchdrehen. Auch dabei, wie manche Menschen und Meinungen auf Twitter angegangen werden. Bei #Aufschrei war etwa gut zu sehen, wie heftig viele Frauen hier attackiert wurden. Die Engstirnigkeit eskaliert in Hass.

Auch ein Beispiel für diese Eskalation, den Sturz in den Abgrund im Netz: Der Hass, der dem Fußballer Mario Götze auf Facebook entgegen schlug, als sein Wechsel von Dortmund nach München bekannt wurde. Es gab sogar eine eigene Seite, die ihn als Verräter, Judas, "Judensohn" beschimpfte, auf der User in übelstem Maße über ihn herzogen und Drohungen aussprachen. Diese wurde nach Protesten gelöscht, schneller übrigens, als das mit Mobbing-Sites geschah, die Schülerinnen und junge Frauen als "Schlampen" verunglimpften. Wir reden hier, wem das zu harmlos klingt, von Seiten, die Ermittlungen durch das Landeskriminalamt Hessen ausgelöst haben.

Von Forentrollen und Subkulturen haben wir da noch gar nicht angefangen. Aber es reicht schon der Blick in die meisten Nutzerkommentare, um verbohrte Selbstgerechtigkeit zu finden.

Was soll das nun heißen? Dass Social Media das Schlimmste im Menschen hervorbringt? Nein. Aber dass sich menschliche Natur und Gesellschaft in allen Facetten, nicht nur den hübschen, glänzenden, im Netz zeigen. Dass sich viel Schatten und Häßlichkeiten dort finden. Nicht schlicht, weil das Netz so ist, sondern eher, weil wir so sind. Dass "social" eben nicht gleich "gut" und "nett" ist. Das Netz ist Infrastruktur, Medium und Kanal, in dem Dinge transportiert, kommuniziert, ausverhandelt werden. In Social Media zeigen sich auch die Abgründe, Auswüchse und hässlichen Seiten. Und in manchen Dingen sind wir im Netz schlimmer. Das heißt: Vielleicht nicht schlimmer, aber wir zeigen die Fratze ungebremster.

Es ist nur logisch, dass etwa Krieg jetzt auch im Netz stattfindet, samt Propaganda und eigenem Storytelling-Team. Auf die Embedded Journalists von Desert Storm & Co. folgen Konflikte, die von den Kombattanten gleich selbst im Netz begleitet werden - wie zwischen israelischen Streitkräften und Hamas geschehen. (Vergleiche hierzu auch Die Digital Natives ziehen in den Krieg.)

Das Netz ist keine regenbogenumspielte Wohlfühloase, in der sich alle basisdemokratisch und transparent lieb haben. Es spiegelt unsere Welt und unsere Natur - die weisen nunmal Licht wie Schatten auf. Und im Schatten lauert viel unangenehmes.

Problemfelder

Es gibt mehrere Problemfelder, die sich daraus ableiten lassen.

Zunächst: Macht das Netz, macht Social Media Dinge schlimmer? Nun, es macht manches einfacher. Technologie ist nunmal neutral. Tausend quer durch die Bundesrepublik verteilte, hasszerfressene Idioten können sich so leichter finden. Der Austausch mit Gleichgesinnten wiederum kann ihre Überzeugung stärken, dass sie völlig im Recht sind, kann sie weiter aufputschen.

Und ganz grundsätzlich macht die Kombination aus hoher Geschwindigkeit, dadurch verringerter kognitiver Verarbeitungstiefe und Kanalreduktion, die mein Gegenüber zu abstrakten Pixeln macht, es einfacher, auszuklinken. In der Hinsicht stellen Social Media einen Gemütserhitzer dar - der Impuls kann sofort ausgelebt werden.

Diejenigen, die einer Brigittekolumnistin mit Körperverletzung drohen, weil sie sich abfällig über männliche Skateboarder mittleren Alters äußert, würden das wohl kaum tun, wenn sie ihr gegenüber stünden. (Hoffe ich jetzt mal.) Das ist überhaupt eines der aberwitzigsten Beispiele aus dem deutschen Raum: Skater mittleren Alters klinken aus und fühlen sich aufs Schlimmste diskriminiert, weil eine Brigitte-Kolumnistin sie albern und kindisch findet. Aus dieser Angegriffenheit heraus schlagen sie dann verbal aufs übelste auf Brigitte und die Kolumnistin ein. Das zeigt nicht nur die verbohrte Egozentrik, in der das eigene Weltbild zu einer Art absoluten Ideologie wird.

Mir ist auch nach wie vor schleierhaft, warum sie die Meinung einer Brigitte-Kolumnistin überhaupt interessiert hat. Aber ich bin ja auch der Meinung, dass einer der großartigsten Sätze von Ricky Gervais dieser hier war: "We have to stop this recent culture of people telling us they're offended and expecting us to give a fuck."

Dieses Ausklinken und Aufeinander eindreschen, ja, das geschieht im Netz sichtbarer und schneller als andernorts. Das liegt aber nicht am Netz, sondern an unserem Umgang damit. Auch daran, dass sich Idioten in der Anonymität sicherer fühlen. Denn Idioten gibt es nun mal.

Dann: Wie ziehen wir Grenzen? Der Disput um Meinungsfreiheit, Zensur, Zumutbarkeiten wird im Netz geführt, so wie wir ihn auch offline immer wieder führen. Nur dass Moderatoren, Algorithmen, Filterbubbles als zusätzliches Element der Steuerung hinzukommen.

Erst Anfang Mai gab es wieder eine Kontroverse darum, wie Facebook mit Videos von Enthauptungen umgeht. Und das ist keine simple Frage. Denn dem Impuls, derartige Grausamkeiten nicht einfach auf die Facebook-Nutzerschaft loszulassen und ihnen keine Bühne zu geben, steht die Frage gegenüber, wieweit wir Zensur das Wort reden wollen. Ausblenden und ausgrenzen wollen, was nunmal in der Welt passiert.

Bei klaren Straftaten ist das simpel, da braucht man nicht diskutieren. Und auch bei Grausamkeiten liegt es nahe, dass man sie zumindest von Kindern fernhält und andere vielleicht warnt. Aber danach werden die Grenzen schwierig.

Man kann nur gegen das angehen, was man sieht

Was folgt daraus? Dass Social Media eine Sackgasse ist? Mitnichten. Wie gesagt: Technologie ist neutral. Man sollte sie weder verteufeln noch Heilserwartungen an sie richten. Denn mit Leben füllen und erfüllen müssen wir das schon selbst. Der Vorteil auch bei den negativen Aspekten dessen, was Gesellschaft und Netzgesellschaft so treiben, liegt darin, dass das Netz sie sichtbarer macht. Wir können nur gegen das angehen, was wir auch wahrnehmen. Das Netz ist kein rundherum schöner Ort. Das ist die Welt aber auch nicht. Es wird aber nicht besser, wenn man nicht hinsieht.

Darin lag die Leistung von #Aufschrei - dass es das Problem sichtbarer gemacht hat. Und alle Trolle, die wild um sich schlugen, trugen sogar noch zur Verifizierung des Problems bei.

Dieses Sichtbarmachen stellt ganz generell einen Vorteil dar. Denn nur dann kann man Dinge angehen. Dazu zählen auch die engstirnigen Kleinlichkeiten. Wir müssen immer noch erwachsen werden in der Art, wie wir im Netz (und außerhalb davon) kommunizieren. Menschen sollten aushalten, dass es auch andere Meinungen gibt. Und sie sollteen eine zivilisierte Form der Auseinandersetzung damit lernen. Das sind aber Probleme, mit denen wir uns im Grunde schon herumschlagen, bevor es das Netz überhaupt gab. Der Spiegel vereinfacht nur den kritischen Blick auf uns - und als Spezies zeigen wir nunmal kein rundherum positives Bild.

Und wenn die Idioten, die Hasszerfressenen, die Monster so eine Bühe bekommen, dann werden sie immerhin für die anderen sichtbarer. Dann werden sie als Problem bewusster. Geben wird es sie immer. Die Frage ist, wie wir mit ihnen umgehen.

Social Media hält uns den Spiegel vor, was unsere Verbohrtheiten und Häßlichkeiten als Gesellschaft angeht. Vergrößert das, was wir sonst leicht übersehen können, auch weil wir es oft übersehen wollen.  An diesen arbeiten müssen wir selbst. Einen wichtigen Schritt dazu stellt Hinsehen dar. Gefolgt von Eintreten und Entgegentreten. Das Netz sorgt nicht für Demokratie, Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit. Das müssen wir selbst. Es dreht sich darum, die Auswüchse in den Griff kriegen. Und auch das, aus dem sie hervorgehen.

Das ist kein im Netz verbleibendes Thema: Es geht nicht nur darum, zu gestalten, wie wir online miteinander umgehen. Sondern auch diesseits des spiegelnden Displays.

Die Zeit hat mal mit dem Claim geworben: "Der Kampf gegen die Dummheit hat gerade erst begonnen." Das stimmt so nicht - wir kämpfen schon lang gegen Dummheit, Engstirnigkeit und uns selbst. Aber im Zeitalter von Facebook könnte man sagen: "This journey is one percent finished."



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1 Kommentar:

  1. Cornelia Hegele-Raih14. November 2013 um 18:43

    Ich schätze Ihre Blogs ungemein. Alle. Eine Anmerkung aber zu diesem: Technologie ist alles andere neutral. Bitte lesen Sie Marhall McLuhan: Understanding Media. Wir sind vielmehr narkotisiert von den Medien an sich, unabhängig von den Inhalten. Das ist der eigentliche Sinn seiner berühmten Aussage "The medium is the me(a)ssage". Und elektronische Medien (wozu Luhman auch schon Radio und Fernsehen zählt) verwandeln die Welt eben zurück in eine globales Dorf, eine virtuelle Stammeswelt mit allen Vor- und Nachteilen

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