Montag, 8. April 2013

Gedanken zur Zukunft der Medien, Teil 3: E Pluribus Unum

Im Anschluss an die Gefahr der reinen Reichweitenjagd und eine Betrachtung von Paid Content geht es in Teil 3 um den Wert der eigenen Rolle und eigenen Stimme. Denn, wie schon in den vorigen Texten angerissen, kann Austauschbarkeit nicht das Ziel von Medien sein, ist sogar eine der größten Gefahren.

Wer laut jammert, dass es ja allgemeine Inhalte auch anderswo im Netz zuhauf gäbe, übersieht die darin liegende Chance: Ich muss nichts ausführlich machen, was meine Leser an x anderen Stellen genauso finden können. Die Ressourcen dafür kann ich mir sparen. In der gerade durch die Digitalisierung bedingten Informationsvielfalt sind einzelne Medientitel erst recht nur eine von vielen Stimmen, aus deren Chor der einzelne Nutzer seine Informationen bezieht.

Das mag einigen höchst unwillkommen sein und Angst machen, eröffnet aber auch Chancen. So Verlage sich vom alten Leitbild "Leser, du sollst keine anderen Medien neben mir haben!" lösen und die Pluralität nicht nur anerkennen, sondern für sich nutzen.

Die eigene Stimme fokussieren - auf das, was man zum Gesamtklang beitragen kann. Bild: AllthingsD.


Die Vernetzungsmöglichkeit stellt – so lapidar das nun klingen mag – ein ganz zentrales Merkmal des Netzes dar. Die Weigerung mancher Medien, auf andere Quellen – entweder Mediensites oder Blogs, Homepages, was auch immer, zu verlinken, stammt aus dem ursprünglichen Alleinvertretungsanspruch und dem Bestreben, möglichst viel Traffic zu horten. Auf andere verweisen wäre aber ein Gedanke, der viel organischer zur Netznatur passen würde - und natürlich Teil des journalistischen Auftrages oder Schaffens darstellt. Die Auswahl und Präsentation von Themen gehört fest zu diesem Beruf. Auf andere verweisen und verlinken, allgemeines in Kürze, auch via dpa, präsentieren, Aggregationsbereiche und Klicktipps anbieten, das passt da alles hinein - als Service. Andere da aufgreifen, wo es sinnvoll und absolut ausreichend ist. Man muss nicht alles selbst machen, gerade dann, wenn es eigentlich nichts eigenes beizutragen gibt.
Wir sind  nicht aber "nur" Kuratoren.

Wir sind auch Stimmen, die aufmerksam machen, unterhalten, analysieren und einordnen sollen. Auch das bringen, das sich nicht überall, sondern vielleicht kaum findet. Kurz: etwas eigenes beitragen.

Denn wenn man sich der Wahrheit stellt, dass das eigene Medium nur eine Stimme im Konzert ist, wird auch klar: Das Schärfen, die Ausbildung dieser Stimme ist für den Erfolg ein ganz zentraler Punkt. Das heißt, dass die Redaktion eine klare, wiedererkennbare Tonlage und Haltung an den Tag legen muss.

Das wäre an und für sich nichts Neues - redaktionelle Linien, Tendenzen und Tonalitäten gehören eigentlich dazu, sind auch das, wodurch Medienmarken sich definieren. Wenn dann aber - wie im Fall der Frankfurter Rundschau schon in den 90ern - als Ansage festgelegt wird, dass man keine "Edelfedern" haben wolle, keine Köpfe und wiedererkennbaren Stimmen, dann geht diese Chance, Austauschbarkeit zu verhindern, verloren. Journalismus lässt sich nicht maschinell konfektionieren. (Texte innerhalb gewisser Grenzen schon, aber Journalismus nicht.) Im Fall der Frankfurter Rundschau ist das Ergebnis bekannt - ein Niedergang, der letztendlich zur Insolvenz führte.

Die Stimme eines Mediums prägen die Menschen, die zusammen dieses Medium erstellen (nicht nur die schreibende Redaktion, um das klar festzuhalten.) In gewissen Teilen und Rahmen lassen sich Markenidentitäten schaffen, redaktionelle Linien und Eigenarten vorgeben. Aber die jeweils dahinter direkt beteiligten Menschen sind nicht folgen- und problemlos austauschbar.

Wenn sie es sind, dann ist der Titel schon so beliebig geworden, dass er keine langfristige Zukunft hat.



Der Wert von Stimmen im Netz

Auch wer im Netz gehört werden will, sollte eine eigene Stimme, Tonalität, Haltung haben. Man kann auch insofern Inhalte bieten, die kein anderer hat, dass es eben der eigene Take zu einem Thema ist. Von einer Medienmarke oder einem Autoren, den die Nutzer schätzen und der/dem sie vertrauen. Vertrauen stellt dabei etwas dar, dass man sich verdienen muss. Und dem es anschließend gerecht zu werden gilt.

Dieses Vertrauen kann an klassischen Medienmarken hängen bei den Zielgruppen, für die diese positiv aufgeladen sind. Bei anderen Zielgruppen muss es erarbeitet werden. Durch gute Texte, gute Inhalte.

Das ist ja der Witz an Viralität: Es sind einzelne Inhalte, die sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Es ist der einzelne Text, der geteilt wird, der einzelnen Sites, Blogs, Präsenzen auf einmal Traffic entgegen spült. Aufgrund des Vertrauens nicht in die Inhaltequelle, sondern in den Kontakt, der diesen Inhalt geteilt hat. Aus Gelegenheitsbesuchern können aber – so man sie überzeugt – häufigere Gäste werden. Das setzt voraus, dass sie genug gutes finden, das sie auch interessiert.

Vertrauen kann auch an konkreten Autoren hängen, deren Arbeit quasi eine Gruppe von Stammlesern bindet. Vorteilhaft dürften Kombinationen dessen sein. (Das heißt übrigens nicht, dass die Leser dem konkreten Autoren grundsätzlich in allem zustimmen. Es heißt nur, dass ihnen dessen Texte und Meinungen die Auseinandersetzung damit wert sind.) Dafür muss es diese Autoren nur geben, und sie müssen den Freiraum haben, so arbeiten zu können, dass sie und ihr Medium wiedererkennbar sind, auch ohne Logo und Byline.

Was das helfen könnte? Nun, es greift einen Teil der von Kritikern vorgebrachten "existenziellen Probleme" der Medien auf: Michael Wolff nennt im Guardian-Stück This tipping-point for paywalls does not fix newspapers' larger crisis (dessen Schwarz-Weiß-Einstellung ich im Übrigen nicht teile) als eines der Kernprobleme:

An extraordinary indifference, if not utter lack of interest, on the part of younger people to news brands and to news habits, a development that established news organizations have been unable to address, stall, or even fathom. 

Es geht darum, auch neuen Zielgruppen zu zeigen, dass man ihre Zeit wert ist. Die Strahlkraft etablierter Marken wirkt bei diesen nicht zwangsläufig. "Ich schreibe für Qualitätsmedium X, ich habe recht" stellt für sie kein Argument dar. (Ohnehin ist der Markenverweis nur eine Heuristik. Eine Heuristik, deren Wahrheitsgehalt man ständig beweisen muss.) Es geht darum, sich als eine der Stimmen im Informationschor Gehör zu verschaffen, etwas zu liefern, das Aufmerksamkeit weckt und dazu führt, dass sich Menschen die Zeit nehmen, zuzuhören. Das bedeutet auch, dass man sie ernst nehmen muss. Denn wenn die neuen Leser Marken nicht vertrauen, dann vielleicht Menschen. Und mit der Zeit den Marken, für die diese stehen. (Stehen, nicht einfach nur arbeiten.) Denn informieren oder unterhalten werden wollen Menschen nach wie vor. Sie haben nur mehr Möglichkeiten, nutzen auch andere Quellen. Also beginnt - zumindest in Teilen - der Prozess erneut, sich in ihr relevant set zu arbeiten. Oder jenseits der Marketing-Vokabeln: Eine der Stimmen zu sein, die sie wahrnehmen und der sie zuhören, Zeit schenken.



Überdehnten Stimmen fehlt Ausdruckskraft

Generell heißt das: Weniger Beliebigkeit, mehr Eigennote. Und das stellt gerade die große Gefahr dar: Je dünner die Ressourcendecke wird, je mehr man sich nach Reichweite streckt und möglichst viel machen will, umso eher klingt diese Eigennote immer dünner und geht verloren.

Note bedeutet dabei für mich nicht nur Tonalität, auch Haltung und Expertise. (Es geht also beileibe nicht darum, die ganze Zeit Meinung zu äußern, falls jemand glaubt, dass ich davon reden würde.) Kleines, halbwegs aktuelles Beispiel: Vergangene Woche hat Facebook sein neues Mobilprodukt Home vorgestellt. Und bei der puren Zahl von Artikeln – online wie Print – die mir austauschbar Zuckerbergs Sätze aus der Präsentation nachgebetet haben (Mit eigenem Handy hätte Facebook ja nur zehn, zwanzig Millionen erreicht; Menschen in den Mittelpunkt stellen, nicht Apps) ohne das zu zerpflücken oder zumindest vernünftig einzuordnen, hat mich entsetzt. Das akzeptiere ich höchstens bei denen, die mir unbedingt gleich während des Events einen Überblick geben wollen. Bei allem anderen ist mir in der Rolle des Lesers völlig schnurz, ob derjenige der erste ist, der mir einen Text anbietet. Ich will nicht ein Dutzend schlechte Artikel lesen müssen, um ein Bild aus Fragmenten zusammenzusetzen. Ich will ein paar wenige, dafür umfassende, gute lesen.

Ich habe die Zeit, auf einen guten Artikel zu warten. Ich habe nicht die Zeit, ein dutzend schlechte zu lesen.

Gute Artikel setzen aber im allgemeinen voraus, dass es gute Redaktionsmitarbeiter gibt und diese die Zeit für gute Texte haben. Deswegen ist das Vorgehen vieler Medienhäuser so irrwitzig: Sie gehen mit der Axt an die Ressourcenlage. Verkleinern Redaktionen, kaufen Inhalte irgendwo billig zu, versuchen aus weniger Leuten das gleiche, wenn nicht mehr an Output rauszuquetschen. Weil sie Output quantitativ messen, nicht qualitativ.

Daraus folgen dann die in Teil 2 erwähnten 31 Prozent der Befragten einer PEW-Studie, die einem Medientitel den Rücken gekehrt haben, weil er nicht länger das bietet, was sie erwarten. Und die Spirale dreht sich weiter nach unten.

Vor einer Weile hat der Ex-Chefredaktor von 20 Minuten Online, Hansi Voigt, dazu in einem sehr lesenswerten Interview bei der Schweiz am Sonntag folgende interessante Passage geliefert: 

"Aus der Sicht des Kosten-Controllings sind Journalisten nicht mehr als ein Kostenfaktor. Und sie sind inmitten von Fixkosten wie der Druckerei oder dem Vertrieb der variable Teil. Also spart man hier. Zumal gute Inhalte, die den journalistischen Markenwert steigern, für das Controlling nicht messbar sind und in keiner Jahresrechnung auftauchen."

Im Fall der Funke-Mediengruppe (vormals WAZ) heißt das dann etwa, dass man mal eben 200 Leute entlässt und glaubt, ohne die gehe das auch, man mache halt weniger hochtrabenden Qualitätsjournalismus und dafür mehr lokalen Nutzwert.

Dabei sollten in Redaktionen nicht weniger sitzen, die die gleiche Arbeit machen. Das ist dünnintelligente, weil nur oberflächlich und kurzfristig ansetzende Erbsenzählerei. Stattdessen sollten Redaktionen, sollten Medien weniger machen – das aber besser.

Sparen? Mag nicht anders gehen. Aber dann fokussiert Produkte, statt blTeams zu schrumpfen. Das bedeutet Besinnung auf das, was man wirklich leisten und als Eigenleistung bringen kann, was man zum vielstimmigen Informations- und Medienkonzert beitragen kann. (Auch um daraus hervorzustechen.)


Macht weniger, aber das besser.

Was Medienmanager nach wie vor scheuen wie der Teufel das Weihwasser, das sind Kürzungen am Objekt statt an der Mannzahl. Printumfänge etwa werden nur unter Schmerzen und Zwang reduziert.

Dabei ist das Unsinn. Der Leser ist für seine vollumfängliche Information nicht auf einzelne Titel angewiesen, das entspricht auch nicht seiner Nutzungsrealität. Auch das Publikum sieht sich einer Informationsflut gegenüber. Genauso, wie in Bookmark-Archiven und Accounts zig ungelesene Texte schlummern, nehmen Leser nur einen Teil ihrer Medien, auch der Printmedien, tatsächlich nachhaltig in Anspruch.

Wenn ich aber ohnehin x Prozent meiner Zeitung oder Zeitschrift nicht lese, dann stört es mich auch nicht, wenn sie dünner ausfällt. Im ersten Moment mag die Haptik kurz stutzig machen. Aber jenseits dessen "fehlt" dem Leser nichts. Ob ich 20 Geschichten nicht lese oder 15, das spielt keine Rolle. Was dagegen eine Rolle spielt, ist die Qualität der Texte, die ich lese.

Immer weiter ausgedünnte Redaktionen überdehnen sich aber, wenn sie die gleiche Fläche füllen sollen. Dann werden auch die Texte flacher. Drei Seiten weniger, die ich eh nicht lesen würde, stören mich nicht. Schlechte Texte, Schreibfehler, auch Sachfehler, die aus Überlastung herrühren, die schon. Dann fragt sich der Leser auch, warum er dafür zahlen soll. Für Online-Medien gilt das analog.

(Und kommt mir jetzt nicht mit dem damit verloren gehenden Anzeigenplatz. Wenn der über entsprechend hochpreisige Schaltungen ausgebucht wäre, würden wir überhaupt nicht über die Zukunft der Medien diskutieren, nicht wahr?)

Was heißt das nun, im Ergebnis?

Medien sollten das bieten, worin sie gut sind. Auf Inhalter anderer verweisen, wo das ausreichend ist. Das können natürlich auch Agenturinhalte sein - die sollten aber nicht kommentarlos unter eigenen Beiträgen gelistet werden. Denn die Stimme des Mediums verkörpern sie nicht. Diese müssen Medien stärker wieder bieten. Eine Stimme, die tatsächlich eigenes beiträgt – und Gründe liefert, ihr zuzuhören.

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