Sonntag, 18. November 2012

This is London - ein digitaler Reisebericht

Das hier wird jetzt etwas untypisch für Von Nullen und Einsen. Es ist eine kleine Fingerübung, ein begleitender Reisebericht meines London-Ausflugs. Ich bin beim besten Willen kein Reiseblogger, aber ich fand es als Testlauf interessant.


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Willkommen im digitalen London. Die Zugfahrt vom Flughafen in die Stadt begleitet einer von drei eigens für die Strecke geschaffenen Musik-Tracks. Der Espressivo-Remix von The Milk, angelegt auf die halbstündige Fahrzeit, vom Smartphone als Soundtrack zur vorbeiziehenden englischen Landschaft auf die Ohren geliefert. Einen der Tracks gibt es kostenlos dazu, wenn man die Express-Tickets online bucht. 

Ein Konzept, das bei der Deutschen Bahn kaum vorstellbar ist. Zu London wiederum passt es. Eine Stadt, die weitaus vernetzter und digitaler ist als ihre deutschen Vettern. So ziemlich zu allem lassen sich hier online Tickets bestellen. Und das ist kein "wir müssen’s halt auch anbieten", sondern der explizit empfohlene, meist mindestens zehn Prozent günstigere Weg.

Als Nahverkehrs-Ticket gibt es die elektronische Oyster-Card, mit der man bei Fahrten nur ein- und auschecken muss. Das sinnvollste Ticket wird dann automatisch abgerechnet. Kein Kartengefriemel, kein Aufwand. Das spart Zeit, Geld und Nerven. Und ist hier völlig normal. Die Vernetzung gehört zu Londons Alltag. Davon kann Deutschland sich noch einige dicke Scheiben abschneiden.


Das waren die Anstöße zu diesem Versuch – einem digitalen Reisebericht, bestehend aus Notizfragmenten, die ich während der Reise festhalte. Denn diese Form scheint passend zu London wie auch zu der Art, wie wir uns auf Reisen begeben. Wir recherchieren und buchen online. Kaufen Tickets vorab. Vor der Abreise habe ich mein Smartphone mit London-Apps bestückt, Offline-Kartenmaterial heruntergeladen, eine eigene Spotify-Playlist erstellt. (Meinen London-Soundtrack gibt es hier.)



Es hat etwas seltsam Befremdliches, zwischen Reihen britischer Arbeiterhäuser, wie man sie von früher und aus britischen Serien kennt, einen Lidl zu sehen. Der genauso aussieht wie die Läden, an denen man Zuhause vorbeifährt.


England im Herbst. Der Londoner Nebel umarmt mich so enthusiastisch, dass sich Tropfen auf meiner Brille niederschlagen. Er ist trotzdem wärmer und weniger barsch als sein Münchner Kollege.


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Der Witz an Ecken wie dem Portobello Market ist die britische Ordnung, die hier im bunten Chaos herrscht. Ein Laden am anderen, die meisten gerade mal ein Schaufenster groß. Und die Straße voll mit Marktständen. In unaufgeregter Selbstverständlichkeit werden hier Schuhe, Second-Hand-Retro-Klamotten, Banksy-Drucke und Obst direkt nebeneinander verkauft. 



Ein Hoch auf Richard Branson und Virgin Media! Kosten- und Werbespam-freies WLAN an jeder Underground-Station. Willkommen im digitalen London. 



Das faszinierende ist: Kaum weilt man vier Stunden in London, knöpft man die Jacke auf, weil's ja eigentlich gar nicht kalt ist. Das andere Klima, es wirkt immer noch.



Japanische Tourguides wissen auch, wie sie ihr Publikum kriegen: Statt mit Schirmen winken sie mit Hello-Kitty-Figuren an Teleskopstangen.


Der moderne Tourist bewegt sich ohne Faltplan in der Hand. Das Zusammenspiel von Offline-Reiseführer-Apps und Offline-Kartennavigation auf dem Smartphone klappt. Nicht reibungslos, aber es klappt.
 


Was für ein großartiger Guide bei der Themserundfahrt. Fünf Minuten, nachdem wir losgefahren sind, kommt er an mit "Mir fällt gerade ein, dass ich was vergessen habe. Für diejenigen, deren Muttersprache nicht Englisch ist – und die mich jetzt verstehen können: Falls ihr mich nicht versteht, hätten wir unten auch Audio-Guides in anderen Sprachen. Also, äh, ihr versteht schon."


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Das herbstliche London vom London Eye aus. In den Worten meines River-Cruise-Tourguides: "Auch wenn's neblig ist, geht trotzdem hoch. This is London. This is what it’s meant to look like."


Manche Dinge altern nicht in Würde. Das Trocadero hatte ich in Erinnerung als Arcade- und Videospieltempel, bei dem einem das Herz aufgeht. Jetzt wirkt das alles tacky, abgenutzt und billig. Souvenir-Schrott überall. Das liegt nicht nur daran, dass ich mich verändert habe. Es liegt auch daran, dass sich die Spiele in Teilen nicht verändert haben. Es sind immer noch die gleichen, die hier stehen.



Der BBC-Wetterbericht kann mit einer isometrischen Karte aufwarten, auf der pro Landesteil auch die Nebeldichte angezeigt wird. Aus Gründen. 

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Im Notting Hill Arts Club muss eben auch ein Cocktail zelebriert werden. Obwohl - ich glaube, die Barkeeper sind hier eher Kleinkünstler. Jeder Schritt mühsam hingelegt. Der Moment, in dem er für einen Cocktail das dritte Vorbereitungsglas und ein rohes Ei hervorzaubert, macht dann endgültig klar: Dieses Getränk soll künstlerisch wertvoll werden. 

 

London ist, wie es so schön heißt, zu großen Teilen auf London gebaut. Überall gibt es kleine Treppen, Winkel, Unvermutetes hinter Ecken. Mit offenen Augen findet man überall kleine Gassen, hinter denen sich alles Vorstellbare verbergen kann: Ein Park, eine Kirche, ein kurzer Ausflug in die Vergangenheit. Unbemerkt von außen. Für das geheime London Below in Neverwhere hat Neil Gaiman gar nicht so viel erfinden müssen.

 

Das klassische English Breakfast ist immer noch ein einziger Arterien-Blitzkrieg. Was sich geändert hat, ist der Toast: statt lapprigem Weißbrot gibt es immer mehr für deutsche Verhältnisse brauchbares Brot. Überhaupt durchzieht ein Geflecht von Bakeries London. 


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In England ist öffentliche Kommunikation anders als hier. Nicht nur der höflichere, hilfsbereitere Grundton. Auch Schilder und Plakate kommunizeren anders. Bellen einem nicht preußische Befehle ins Gesicht, sondern nehmen sich meist auch die Zeit, zu erklären, warum etwas nicht geht. Oder bitten zumindest netter. Dafür findet sich weit krassere Plakatwerbung. Und öffentliche Beschilderung wie diese hier: Loo of the Year Award Winner.


Das digitale London, nächster Teil: In der Underground sieht man viel mehr E-Reader als in der Münchner S-Bahn. Supermärkte bieten Self-Checkout. Und auf Plakatwerbung stehen meist keine ellenlangen URLs, sondern konkrete Suchvorschläge. "Search for..."

Überhaupt: Die Dichte an Displays, Werbebildschirmen und ja, Überwachungskameras, ist immens. Sehen und gesehen werden.  


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Das Victoria & Albert-Museum hat es mit Handwerk, Kunsthandwerk und Design. Und zeigt bei jedem Ausstellungsbereich nicht nur die Chronologie und die dadurch bedingte Entwicklung auf, sondern auch die Wechselwirkungen mit anderen Kulturen und gesellschaftliche Hintergründe. Etwa die Wechselwirkungen mit britischer Mode beim japanischen Lolita-Look.

Bei uns gibt es Gerichtsurteile zum Thema Störerhaftung, in London bieten einige Museen freies WLAN. Soviel dazu.


 



Camden Lock, Stables Market. Die übersprudelnde, kreative Energie in diesem bunten Durcheinander ist faszinierend. Menschen, denen danach ist, könnten hier den ganzen Tag shoppen. 


Wo in Deutschland - außer vielleicht in Berlin - passiert einem das? Da sagt der Verkäufer, dem man noch nichts abgekauft hat, zu einem: "Du bist das erste Mal hier? Pass auf, vergiss High Street, ich beschreibe dir jetzt den Weg zum Local Market. Und willst du den abgefahrensten Laden deines Lebens sehen? Dann musst du..."



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Ja, ausgerechnet auf dem Schild vor dem British Museum ist ausgerechnet das Wort University falsch geschrieben. (Und ja, ich sehe sowas im Vorbeigehen.)













 

Wieso fragen mich in Städten, die ich auch nur besuche, eigentlich immer Leute nach dem Weg? Gut, meistens kann ich ihnen sogar helfen, aber es ist trotzdem seltsam.


In London begegnen einem überall Jogger. Und ich meine: überall.


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Unbedingt zu empfehlen: Ein abendlicher Spaziergang an der Themse. Gut dazu als Soundtrack passt In This Light And On This Evening.
 

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Und ein Spaziergang durch London. Einfach tief durchatmen, die schiere Größe und Energie auf sich wirken lassen. Diese Stadt ist Stein gewordene Zeit. Nicht versteinert, wohlgemerkt. Immer noch im Fluss. Durchströmt von Energie, sich ständig in Teilen erneuernd und verändernd. Aber eben nie ganz. Ein Nebeneinander von Jahrhunderten. 


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Dieses Nebeneinander von Alt und Neu, von Kulturen, von Eindrücken ist es, was diese Stadt so faszinierend und großartig macht.


Goodbye, London. Zu den Klängen des Gatwick-Express-Soundtracks rolle ich hinaus.



Wem das noch nicht genug Diashow war: Hier gibt's weitere Bilder.

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