Freitag, 17. August 2012

Die galoppierende Zwangs-Sozialisierung des Webs geht mir auf den Keks Oder Ich will Socken nicht teilen

In seinem Science-Fiction Roman Ubik hat Philip K. Dick eine Welt beschrieben, in der man für so ziemlich alles zahlt: Damit die eigene Wohnungstür sich öffnet, die Dusche anspringt, der Kühlschrank aufgeht. Alles kostenpflichtig, was die Geräte ihrem Besitzer auch mitteilen. Microypayment und Sprachsteuerung in einem Buch aus dem Jahr 1969.

"He therefore vigorously strode to the apt door, turned the knob and pulled on the release bolt. The door refused to open. It said, 'Five cents, please.'"

Würde er es heute schreiben, die Wohnungstür wollte wohl nicht fünf Cent, um sich zu öffnen. Sondern einen Share auf Facebook und fünf Likes.

 "Joe Chip hat seine Tür geöffnet." – G.G. Ashwood und vier anderen gefällt das.

"In deinem Freundeskreis ist doch noch Platz für uns." Bild: Marvin Siefke / Pixelio.de

Denn die Sozialisierung des Webs greift immer weiter um sich. Egal, ob man Konzertkarten kauft oder Socken, Videos ansieht oder Nachrichten liest, überall poppen Facebook Connect und dessen Vettern auf: "Teil das doch mit deinen Freunden!" "Poste doch dieses Produkt!"

Von E-Commerce über Portale zu Medienauftritten und Apps: Jeder will unseren Freunden vorgestellt werden, egal um welches Produkt oder welchen Dienst es geht. Die Social-Connect-Integration ist die Digitaluhr unserer Zeit. So wie in den 80ern und 90ern einfach überall eine Digitaluhr eingebaut wurde, ist es jetzt Facebook Connect.

Und das fängt an zu nerven. Gewaltig.

Natürlich wissen wir alle, dass wir bei monetär kostenlosen Angeboten mit unseren Daten zahlen. Im Social Web sind das unsere Empfehlungen, Profildaten, Freunde. Wenn mir aber Amazon & Co. vorschlagen, ich soll doch auf Facebook posten, dass ich mir eine neue Krawatte oder neue Socken gekauft habe, dann löst das bei mir Reaktanz aus.

Die Bedrohung der Aufmerksamkeitsökonomie durch Share-Inflation

Und gedanklich ist das penetrante "Share das doch!" von einem "Du musst das sharen" als Modernisierung von Dick nicht weit weg. Ach, was heißt hier, nicht weit weg: Die ersten versuchen das schon. Focus Online hat es letztens getestet, was dank Christoph Kappes dann die Runde gemacht hat. "Du willst den Artikel lesen? Dann like uns auf Facebook." (Das war offiziell ein Experiment und ließ sich wegklicken, aber es geht ums Prinzip.) Die SocialWall statt der PayWall – Noch deutlicher kann man nicht mit dem Öffnen der Tür ins Freundenetzwerk statt mit Geld zahlen.

Die Logik dahinter ist simpel: Der Zugriff auf die Freundesnetzwerke der Kunden, die Reichweite und den persönlichen Empfehlungscharakter, den das Unternehmen durch die geteilten Inhalte gewinnt. Wir zahlen mit unserem guten Namen, wir werben bei unseren Freunden.
Das immer und überall plattestmöglich vorzuschlagen – wie es gerade Agenturen etwa E-Commerce-Unternehmen empfehlen – kann aber übel nach hinten losgehen. Klar, bei kostenlosen Diensten zahlen wir mit unseren Daten.

Aber bei E-Commerce? Ich hab' schon mit meinem Geld gezahlt, ich zahl' nicht noch mit meinen Freunden, vielen Dank.

Empfehlungsmarketing mit dem Charme eines Kettenbriefs

Menschen wie mich nervt diese unaufhaltsame und dabei sinnfreie Zwangs-Sozialisierung des Netzes. Es ist in Teilen wieder das klassische Unternehmensproblem des falschenBlickwinkels: Sie denken nicht aus Kundenperspektive. Sondern nur aus der eigenen. Bei Produkten und Diensten, die mit persönlichem Geschmack zu tun haben, Gesprächsthema und Empfehlung sein können, ergibt es ja einen gewissen Sinn für den Kunden. Bei Filmen, Musik, Büchern, meinetwegen Fashion, will man das vielleicht sogar weitergeben - da kann einfaches Teilen ein Plus für alle Seiten sein. Bei Artikeln finde ich das auch sehr nützlich.

Aber bei Bratpfannen? Socken? Handtuchhaltern?

Da hat ein eingeblendetes Fenster "Teile das doch mit deinen Freunden" ungefähr so viel Charme und Imagewirkung wie ein Kettenbrief. Insbesondere, wenn es ein aufdringliches Betteln oder Fordern nach der Weiterleitung darstellt. Große, ins Auge springende Flächen statt dezenter Buttons. Heischen nach Likes und Empfehlungen, da wo der Nutzer überhaupt kein eigenes Bedürfnis verspürt, das weiterzugeben, weder Interesse noch affektive Disposition für eine Weitergabe sprechen - da kann ich auch gleich meine Tür liken. Es passt ungefähr genauso gut.

Natürlich ist das nur ein fakultatives Angebot, nichts, das mir aufgezwungen wird. Aber die Art, wie es mir ins Gesicht gedrückt wird, nervt. Für mich als Nutzer hat es keinen Mehrwert, nur für das Unternehmen.

Wenn diese Gier nach Zugriff auf unsere sozialen Netzwerke so weiter geht, dann ist es nicht weit zur sozialmedialisierten Tür. Im Internet der Dinge wäre deren Anbindung ans Netz ja ohnehin kein Ding. Und damit die Möglichkeit, wirklich jeden Schritt mit den Internet-Freunden zu teilen. Ein exponentielles Wachstum der Daten, das Mark Zuckerbergs kühnste Träume noch übererfüllt.

Diese stumpfe Social-Medialisierung von allem will das Teilen von noch mehr Information befördern. Was mein ist, sollst auch du wissen. Egal, ob du willst oder nicht.

Actio - Reactio

Ich will aber weder jeden Blödsinn teilen noch jeden Blödsinn wissen. Ich kann bestens darauf verzichten, von Bekannten Fotos und Protokollinformationen zu ihrem aktuellen Stuhlgang zu erhalten. (Ja, es gibt eine App dafür. Sie heißt PoopLog.) Und ich kann darauf verzichten, meinem Freundeskreis mitzuteilen, dass und welche Socken ich mir kaufe. (Schwarz. Baumwolle.) Mehr Transparenz und Offenheit, das ist begrüßenswert, wo es der Nutzer wünscht. Aber wir brauchen nicht mehr Geräusch. Das stellt sogar eine Gefahr dar. Geräusch kann Information verdrängen.

Die Aufmerksamkeitsökonomie wird durch eine Share-Inflation gefährdet. Erinnert sich noch jemand an die Flut von Spielebenachrichtigungen auf Facebook?
"X hat Level 5 von ProkrastinationsVille abgeschlossen." "Er braucht deine Hilfe - noch 2 Muscheln, 1 Kugelschreibermine und 5 Büroklammern, dann erreicht er MacGyver Level 3."
Gibt es irgendjemanden, der die noch nicht ausgeblendet hat?

Denn zu viel Geräusch, zu viel Teilungsansinnen löst Gegenbewegungen aus. Startups wie App.net, die dafür gefeiert werden, dass sie ein kostenpflichtiges Social Network errichten, das die Werbungtreibenden aussperrt.

Ich will nicht alles sharen. Ich will auch nicht überall penetrant darauf hingewiesen werden, dass ich das kann und doch bitte tun sollte. Gebt mir die Option, wo ich etwas teilen möchte, wo es einen Sinn ergibt. Nicht stumpf überall. Integriert meinetwegen einen kleinen Button. Aber klatscht mir keine Riesenformularfelder, keine Pop-Ups ins Gesicht, wenn es für mich völlig wertlos ist, diese Info zu teilen. 

Denn damit, liebe Unternehmen, wirkt ihr mit eurem tollen neuen Feature genauso hip und zeitgemäß wie diejenigen, die Feuerzeuge und Staubsauger mit eingebauter Digitaluhr verkauft haben.

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