Mittwoch, 20. März 2013

Netzespresso: Die New York Times und die ernst genommenen Leserkommentare

Wie immer, wenn die ehrwürdige New York Times auch nur die kleinste Änderung durchführt, stößt auch das Austesten eines neuen Kommentarformats auf Interesse bei anderen Medien. Mathew Ingram hat dazu mal gewitzelt, dass wir in den Medien, sollte die NYT mal ihr Kreuzworträtsel-Layout ändern, wohl auch einen Tag darüber diskutieren würden, ob das die Zukunft des Journalismus sei. Was die NYT jetzt in ihrer Kommentarfunktion anläßlich der Papstwahl ausgetestet hat, ist aber in der Tat interessant. Wenn auch in der Wichtigkeit irgendwo zwischen den Polen Kreuzworträtsel-Layout und Zukunft des Journalismus. Und dabei näher am Kreuzworträtsel, ehrlicherweise.

Die NYT hat zu diesem Anlass nämlich strukturierte Leserkommentare ausprobiert. Bevor jemand den Artikel kommentieren konnte, galt es, die eigene Reaktion kurz auszuwählen - Überrascht oder nicht, positiv oder negativ eingestellt. Dazu die optionale Angabe, ob man Katholik ist oder nicht. Über dem Kommentarfeld selbst stand die klare Frage, welchen Einfluss auf die Kirche Papst Franziskus der eigenen Meinung nach wohl haben werde - und die Antwort selbst war auf 100 Worte begrenzt.

Dieses Modell ist nicht in dem Sinne eine Trollabwehr - die NYT moderiert ihre Kommentare ohnehin und hängt den Anspruch an die Leser nur wenig tiefer als den ans Blatt selbst. Aus den FAQs:

"We are interested in articulate, well-informed remarks that are relevant to the article. We welcome your advice, your criticism and your unique insights into the issues of the day. Our standards for taste are reflected in the articles we publish in the newspaper and on NYTimes.com; we expect your comments to follow that example. A few things we won't tolerate: personal attacks, obscenity, vulgarity, profanity (including expletives and letters followed by dashes), commercial promotion, impersonations, incoherence and SHOUTING."
(Überlegt euch mal, wie viel da bei manchen anderen Sites übrig bleiben würde, wenn man das ernst nimmt.)


Was die Vorschaltung der Frage stattdessen schafft, ist eine Strukturierung in Kategorien. Denn die entsprechende Zuordnung wird als Tag vermerkt und als Filteroption angeboten. Andere Nutzer können sich also gezielt Kommentare aus bestimmten Kategorien ansehen - und es gibt eine simple Metrik, um zu erfassen, wie stark welches Feedback ist. (Intensiver hat sich dem Thema Kommentarfunktion Justin Ellis bei NiemanLab gewidmet: Habemus opinionem: The New York Timesexperiments with more structured online comments) Das Ganze ist im Übrigen auch nicht das neue Kommentarformat der NYT, sondern ein Testmodell, das nur in ausgewählten Fällen zum Einsatz kommen soll. Nichtsdestotrotz ist der Gedanke dahinter interessant.

Die getestete Kommentarfunktion bei

Diese Struktur regt unter Umständen nicht nur tatsächlich ein wertvolles Nachdenken beim Kommentarschreiber an, der sich seiner Haltung vor dem Tippen gewahr werden muss. Es erleichtert den Rückgriff auf die Kommentare, die Auseinandersetzung mit ihnen seitens der Redaktion. Es ist ein Zeichen dafür, dass die NYT Leserkommentare ernst nimmt, nicht nur eine "Sondert hier euren Senf ab"-Funktion unten andockt. 

Denn eine Kommentarfunktion als solche ist ja keine Interaktion. Ein Punkt, der mich immer wieder amüsiert oder verärgert hat, wenn mir Menschen bei Konzeptumstellungen das anders verkaufen wollten. 
"Wir haben jetzt auch direkte Interaktionsmöglichkeiten! Nutzer auf Augenhöhe und so!"
"Ah ja. Wie sieht das aus?"
"Wir haben jetzt eine Kommentarfunktion!"
"Lesen die Autoren die Kommentare denn auch?"
"Äh... Das... können sie tun."

Das ist keine Interaktion. Interaktion entsteht erst dann, wenn die andere Seite das Signal auch wahrnimmt. Inhaltlich wahrnimmt, nicht einfach nur als Zahl. ("Oh toll, ich habe 34 Kommentare!")

Die Strukturierung bei der NYT macht das einfacher. 3000 Kommentare durchlesen ist reichlich viel Arbeit. Relativ schnell aber rubrizieren können, wie stark welche Feedback-Kategorie ausfällt und sich in dieser dann Beispiele ansehen, ist deutlich besser machbar. Damit werden sie schneller aus- und verwertbar.

In ihrer Präsentation sehen die Kommentare schon aus wie Soundbites, wie Statements von Gesprächspartnern und Experten. Und genau in der Form ließen sie sich auch einbinden und verwenden in weiteren Artikeln. Das nimmt die Kommentatoren ernst. Und rechtfertigt den Anspruch, den man an ihre Beiträge hat, weil er nicht bloße Netiquette darstellt. Sondern tatsächlich eine inhaltliche Auseinandersetzung erfolgen kann. Die ist immer noch nicht sicher gestellt und kann auch nicht jeden einzelnen berücksichtigen. Aber es ist deutlich mehr darum bemüht als das reine Anflanschen einer trollverseuchten Kommentarwiese.

Jetzt aber wieder zurück zu den Kreuzworträtseln.



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