Dienstag, 21. Mai 2013

Werbelügen - Wie man Menschen dazu bringt, einen zu hassen

Anfang letzter Woche haben eine Reihe von Medientiteln eine Kampagne gegen die Nutzung von Adblockern gestartet, Programmen, die Werbeflächen auf Websites blockieren. Und die Aufregung brandete hoch. "Wie können die es wagen, zu verlangen, dass ich mir ihren Werbeschrott ansehe?" "Geht doch sterben", "Elende Konsumpropaganda" und so fort. Plus das auf Knopfdruck abrufbare "Jaja, die Medien haben das Internet einfach nicht verstanden." (Zu letzterem Punkt ist Frank Patalong lesenswert der Kragen geplatzt.) Dazu kam eine ganze Reihe von Nutzern, die so überhaupt erst erfuhren, wie simpel sich Werbung blocken lässt. (Barbra Streisand sagt "Hallo".)

Der Debattenverlauf über eine Woche hinweg zeigte neben den üblichen Reflexen aber auch ein paar Wahrheiten auf, und wie das mit Wahrheiten so ist, sind sie zumeist unbequem. Wir müssen uns von ein paar Werbelügen verabschieden, und damit meine ich Lügen über Werbung. Dazu zählen "Im Internet ist doch alles kostenlos", "Die Nutzer akzeptieren doch Werbung voll und ganz", "Online-Werbung ist total großartig, so wie sie jetzt ist" und "Klar, auf die Site passt auch noch eine aufmerksamkeitsstarke Werbeform mehr." Stattdessen sollten wir ein paar Wahrheiten in die Augen sehen.

Online-Werbung: Zu oft zum schreien, auch die, die nicht von Zalando kommt. // Bild: S. Hofschläger / pixelio.de

Zum einen: Menschen wollen keine Werbung. Aller Lebenslügen von Unternehmen, Publishern, Werbern zum Trotz verzehren sie sich in der Mehrzahl nicht danach, ungefragt tolle Neuigkeiten zu Unternehmen und Produkten zu erfahren.

Was ich mit Lebenslügen meine? Nun, folgenden Satz hat Yahoo-Chefin Marissa Mayer zur Übernahme der Blogging-Plattform Tumblr geschrieben: "The two companies will also work together to create advertising opportunities that are seamless and enhance user experience."

Das Nutzererlebnis verbessern. Durch Werbung. Uh-huh. Wenn man mal einen kurzen Blick auf das wirft, was Tumblr-Nutzer so zum Thema Yahoo posten, dann findet sich "endlich kriegen wir hier vernünftige Werbung" eher nicht. Im Gegenteil fluchen viele schon jetzt, dass ein kostenfreier Dienst jetzt am Schluss mehr Werbeflächen erhält.


Ein Deal, für den man mehr tun muss

Denn das ist die nächste Wahrheit: Den Deal, den viele beschwören - "kostenfreie Nutzung gegen Werbevermarktung", den akzeptieren bei weitem nicht alle User.

Was ein Problem darstellt, denn irgendwie müssen Dinge nunmal finanziert werden. Das Netz ist nicht frei, was eine Site wie Tumblr an Infrastruktur zum funktionieren braucht, muss irgendwie refinanziert werden. Und bei Mediensites entstehen die Inhalte nicht aus dem luftleeren Raum, sondern durch Menschen, die man dafür tunlichst bezahlen sollte. (Here's looking at you, Huffington Post Deutschland.)

Denn das Anliegen der Verlagskampagne gegen Adblocker wie auch die Art, in der sie angefangen wurde, die sind richtig. Wenn 25 Prozent meiner Leser meine Refinanzierungsmöglichkeit blocken, dann tut das weh. Sie dann höflich bitten, das zu lassen, und ihnen verständlich zu erklären, warum, das ist richtig. Und eigentlich die Art von Dialogbereitschaft, die sonst von den Verlagen eingefordert wird, wenn es um das Digitale geht.

Die Blockerzahl scheint dabei realistisch, weil sie sich aus anderen Bereichen stützen lässt – der Anteil derer, die Werbung akzeptieren oder nützlich finden, liegt in Studien meist um die 60 Prozent. Dass ein signifikanter Teil der anderen sie am liebsten los wäre, klingt glaubhaft.

Wenn Menschen aber sagen "Nein, ihr habt mich nie gefragt, ob ich mit Werbung einverstanden bin, und überhaupt, geht sterben" dann stellt das eine eher unreife Reaktion dar. Ja, sie hatten tatsächlich nicht die Wahl. Aber das hätte auch nicht viel geändert. So sieht nunmal das Geschäftsmodell aus, irgendwie muss es ja aussehen. Was wäre die Alternative? Gleich kassieren? Es gibt auch bei Facebook oder Twitter regelmäßig Unmut über zu viel oder zu aufdringliche Werbung und den Vorschlag, diese gegen Gebühren doch wegzulassen.

Das Problem dabei: Zahlen will eigentlich auch keiner. App.net, vor einer Weile als kostenpflichtiges, dafür werbefreies soziales Netzwerk vor rund neun Monaten unter Lobeshymnen gestartet, bringt es inzwischen auf 100.000 registrierte Nutzer. Nicht in Deutschland, insgesamt. Das mit der Zahlungsbereitschaft ist also so eine Sache. Ein Teil der Nutzer ist dazu bereit, aber nicht so viele und nicht in einer Höhe, dass das mal eben bei regulären Medientiteln die Werbefinanzierung ersetzen kann.

Was man aber machen kann: Miteinander reden. Darüber, was die Nutzer nervt und wie sich das auf einen für alle Seiten zufriedenstellendes Niveau reduzieren lässt. Denn gnadenlos genervte Nutzer, die Werbung wegblocken, helfen den Publishern nicht, auch nicht den Werbern oder Unternehmen.

Bei Medientiteln hoffen wir insgesamt darauf, dass es einen zahlungsbereiten Teil gibt. Und hier wie bei anderen Diensten gilt ja auch, dass der Großteil der Nutzer die Werbung hinnimmt. Nicht goutiert, aber hinnimmt im Tausch gegen kostenlose oder zumindest günstigere Inhalte. Das ist eine erwachsene Reaktion, und es wirkt schlüssig, dass man darauf bei den anderen hinwirken will. Nicht von oben herab, sondern indem man ihnen klarmacht: Leute, wir müssen das hier irgendwie finanzieren. 

Die 25 Prozent Blockierer stellen ja nicht alle kompromisslose Kostenlos-Kulturkämpfer dar. Da sind auch diejenigen darunter, die über den Finanzierungszusammenhang gar nicht nachgedacht haben, sondern nur ihre Ruhe haben wollten. Die kann man unter Umständen überzeugen, wenn man vernünftig mit ihnen redet. Und unter ihnen sind auch die, die schlicht zu genervt waren.


Besseres Handwerk ist gefragt

Denn die Werbe- und Medienbranche hat sich die Ablehnung durch eigene Blödheit auch selbst eingebrockt. Wie war das oben? Werbung, die sich nahtlos einfügt und das Nutzererlebnis verbessert? Würde passen zu denen, die von relevanten Inhalten, passenden Angeboten, kreativer Unterhaltung sprechen. So sieht der Großteil der Realität nur nicht aus.

Die Realität beschrieb Frédéric Winckler, CEO von JWT Paris und President des AACC, in einem Vortrag letzten Herbst so: "Wir stopfen den Menschen so lange Werbung in den Hals, bis sie uns hassen." 

In der Tat zeigt sich im unblockierten Internet viel zu oft ein wahres Werbebombardement. Es blinkt, trötet, auto-played, overlayed, pop-upped und nervt von allen Seiten. Da kann man verstehen, dass Leute das blocken. Online-Werbung macht ihren Job zu guten Teilen wirklich schlecht. 

Natürlich soll Werbung auffallen. Aber in der Gier nach Aufmerksamkeit machen Agenturen, Planer, Publisher sich selbst das Geschäft kaputt. Schaffen einen Deal, dem einige Nutzer eben nicht mehr zustimmen wollen. 

Sicher ist ein sich vor den eigentlichen Inhalt schiebendes Werbeformat aufmerksamkeitsstark. Ich muss es ja wahrnehmen und interagieren, und sei es nur, um es loszuwerden. Aber diese Art von Werbeformat ist ungefähr so sympathisch wie die Art Kind im Bekanntenkreis, das die ganze Zeit herumkrakeelt und brüllt, weil es unbedingt Beachtung finden will. Das kann funktionieren, Freunde macht man sich damit aber nicht. Und gelegentlich endet es eben damit, dass das Kind auf die stille Treppe geschickt, der Adblocker installiert wird. Das dumme hierbei: Alle anderen erwischt die Treppe auch.

Online-Werbung leistet sich zu viele handwerkliche Fehler und Schwächen. Wer Technik so aufsetzt, dass Werbeformate, dass Adserver Seiten ausbremsen, der schludert. (Und das geschieht leider nicht so selten.) Wer Aufmerksamkeit nur dadurch erreichen kann, dass er einem die Anzeige ins Gesicht bohrt wie die drei Stooges den Finger in die Augen, der geht bei seinem Handwerk ähnlich mit dem Holzhammer vor.

Werber fühlen sich als Kreative, als Künstler. Dann beweist es. Holzhammer-Formate haben nichts mit Können zu tun, ihnen geht jede Eleganz ab. Erarbeitet euch Aufmerksamkeit und Interaktion.

Werbung nervt erst recht, wenn Seiten in ihr ertrinken. Da kommen dann die Publisher ins Spiel, die eben alles mitnehmen wollen, was es an Buchungen gibt, alles möglich machen wollen, was Kunden wünschen. Denn die begehren in ihrer Gier mehr, als für die eigenen Ziele gut ist.

Insofern ist es, um auf die Adblocker-Kampagne zurückzukommen, auch schlüssig, dass die Mediensites im gleichen Atemzug sagen, dass sie darauf achten wollen, ihren Lesern nicht zu viel Schrott zuzumuten. Sie müssen es nur auch konsequenter leben. 
 
Das ist ein Zwiespalt, weil es gleichzeitig bedeutet, potenziellen Umsatz liegen zu lassen. Nur muss man das mit dem gegenrechnen, was einem durch die vergrätzte Zielgruppe entgeht. Denn bei den allermeisten Seiten, erst recht bei denen, die Premium bieten wollen, gilt doch eins: Die Werbung ist Mittel zum Zweck. Wir machen die Sites nicht, um dort Werbung zu schalten. Wir bieten dort Werbeschaltungen an, um das, was wir eigentlich machen, zu finanzieren. Dementsprechend sollte ich auch nicht mehr Werbung als Inhalt sehen. 


Den Konsumenten ernst nehmen

Für Publisher wie Werber und Planer gilt: Wenn ihr Technik einsetzt, dann bitte richtig. Werbung lässt sich auf die Nutzerinteressen zuschneiden. Dann kommen wir zu dem, was Winckler gefordert hat: Dem Konsumenten nützlich, zu Diensten sein. Wenn mich die Werbung tatsächlich anspricht, interessiert, steigt auch die Chance, dass ich positiv reagiere. Das setzt aber voraus, dass ich Menschen die Personalisierung, vor der viele Angst haben ("Datenkraken", "Datensammelei") vernünftig erkläre. Und nicht überziehe. Nicht zum Müll durchwühlenden Stalker werde, der den Konsumenten wieder unheimlich wird. Und müffelt.
Denn ganz ehrlich: Es kann Marken nur helfen, wenn ihre potenziellen Kunden sie nicht als unangenehm riechende Stalker wahrnehmen, die für sie uninteressante Botschaften laut und immer wieder herausbrüllen.


Online-Werbung muss in der Masse einfach stärker dahin kommen, mit gutem Handwerk zu überzeugen. (Es gibt ja gute, nur fällt die andere eben unangenehm auf und ist die, die Nutzer nervt.) TV-Werbung brüllt mich auch nicht die ganze Zeit mit Farborgien an. Gutes Handwerk kann online auch heißen: Auf Nutzer zuschneiden, und zwar passend. Denn bei vielem, was momentan personalisiert, auf Nutzer zugeschnitten sein soll, da ist der Schneider ziemlich grottig. Da passt nichts zusammen.
 
Gut zuschneiden kann ich, wenn ich entsprechende Daten habe. Und zumindest jüngeren Zielgruppen kann ich das auch erklären. Denn von ignorierter, geblockter Werbung hat der Werbungtreibende nichts. Und wenn performancebasiert abgerechnet wird, stellt es für den Publisher eine Nullnummer dar. 

Die Anti-Adblocker-Kampagne kann nur ein Anfang sein. Auch im Dialog mit den Nutzern. Aber es gibt noch andere Baustellen, die angegangen werden müssen. Der Deal, den der Nutzer annehmen sollte - weil wir nunmal die Finanzierung brauchen - den muss man von Branchenseite besser ausgestalten. Annehmbarer. Handwerklich besser. Kurz: Online-Werbung muss besser werden. Dann sind Nutzer vielleicht auch aufgeschlossener. 

1 Kommentar:

  1. " (Es gibt ja gute, nur fällt die andere eben unangenehm auf und ist die, die Nutzer nervt.) TV-Werbung brüllt mich auch nicht die ganze Zeit mit Farborgien an. "

    Könnte man auch auf die Gestaltung der Website hier beziehen ...

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