Montag, 28. Oktober 2013

Netzespresso: Spielen für weniger Abgelenktheit

Es blinkt, es fiept, es push-notified. Zu den fünf Mails, die in diesem Satz vermutlich schon wieder angekommen sind, kommt ein Dutzend Dinge in zwei Dutzend Browser-Tabs und was sonst noch alles. Wie soll man sich da nur konzentrieren? 

Mit Spielen.

Zumindest für die ältere Zielgruppe (und wir reden hier nicht von Gamer-alt, das wäre ich, sondern von Personen ab 60) scheint das zu funktionieren, wie eine in Nature veröffentlichte Studie zeigt. Ironischerweise ist es dem Team um Adam Gazzaley dabei ausgerechnet mit einem Computerspiel gelungen, das Multitasking, die Konzentrationsfähigkeit und die kognitive Kontrolle zu verbessern. Also mit der Art von Produkt, von der Kritiker gern das Gegenteil behaupten ("Die Kids zocken viel zu viel...").

Probanden der Neuroracer-Studie. Screenshot des Nature-Videos.



Man muss dazu sagen: NeuroRacer ist nicht irgendein Spiel, sondern wurde speziell für dieses Experiment konzipiert. Aber das Rennspiel ist dennoch - ein Spiel. Und Gazzaley arbeitet mit der Ausgründung Akili Interactive Labs auch daran, daraus kommerzielle Produkte zu machen.

Die Studie jedenfalls ist durchaus interessant: Probanden von 20 bis 85 haben im Labor und anschließend zu Hause das Spiel genutzt, bei dem sie ein Fahrzeug auf einer Strecke halten und - im Multitasking-Set des Experiments - gleichzeitig die korrekten Tasten für bestimmte aufblinkende Symbole drücken müssen.

Es überrascht nicht, dass den Jüngeren die Multitasking-Aufgabe zu Beginn leichter fiel und die Probanden sich entlang des Alterskontinuums damit schwerer taten. Es überrascht auch nicht, dass sie durch Übung besser wurden. Was aber erstaunlich ist, ist die Tatsache, dass die Fraktion über 60 nach gerade mal 12 Stunden Spielen in einem Monat die Werte von untrainierten 20-Jährigen erreichte. Und sich auch nach einigen spielfreien Wochen (die letzte Labormessung erfolgte sechs Monate nach dem Training) immer noch deutlich bessere Multitasking- und Konzentrationswerte feststellen ließen als zu Beginn.

Ein an und für sich simples Rennspiel sorgte dafür, dass die Hirnzellen wieder auf Trab kamen, dass sich die kognitive Kontrolle meßbar verbesserte. 



Das ist interessant, weil es das Potenzial für simples Gegensteuern zu normalen Alterungsprozessen im kognitiven Apparat bietet - dass das Hirn abbaut, ist belegt, und das geht weit vor 60 los. Und dieses Gegensteuern gilt bei der älteren Zielgruppe nach den Ergebnissen von Gazzaley und seinen Mitautoren nicht nur für die trainierte Kernaufgabe, sondern auch andere kognitive Funktionen. Das ließ sich bislang nicht wirklich belegen. Meßbar war meist nur, dass die Probanden in der trainierten Aktivität selbst besser wurden. Bunte Förmchen richtig sortieren können ist im Alltag aber nur begrenzt hilfreich.

Vielleicht lag das aber auch an zu simpel aufgebauten Spielchen, die im Endeffekt bloß ein animierter Psychotest waren. Neuroracer sieht zwar auf den ersten Blick nicht so aus, orientiert sich aber in Teilen aber durchaus an erprobten Spielmechaniken. Gamification der Lernspiele, sozusagen.

Die Befürworter von Neurospielen skizzieren eine ganze Reihe von Einsatzmöglichkeiten, auch zur Behandlung von ADHS oder Demenz. Wenn sich hier tatsächlich positive Effekte mit so nichtinvasiven Methoden wie ein paar Stunden Spielen erzielen lassen, wäre das eine feine Sache. 

Und wir würden uns mal über positive Auswirkungen von Spielen auf Hirn und Psyche unterhalten anstelle der elenden Killerspieldiskussion. (Eine Rentnerporsche-Variante von GTA wird Rockstar allerdings vermutlich nicht produzieren.)



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