Dienstag, 26. Februar 2013

Through the Looking Glass: Ein genauerer Blick auf Google Glass und #ifihadglass

Viele Augen auf Glass: Mit dem neuen Demovideo zu seiner Datenbrille und dem zugehörigen Kampagnenstart ist es Google bestens gelungen, den Buzz um Google Glass wieder anzuheizen. Zumindest in der Kernzielgruppe und bei Medien mit Tech- oder Digi-Bezug. (Hallo.) Über zehn Millionen Abrufe hat der Democlip auf YouTube binnen drei Tagen erzielt.

Der Clip sollte Lust auf mehr machen, weil er ja auch den Auftakt für die Kampagne #ifihadglass und den Wettbewerb für Betatester darstellt. US-Interessenten sollen sich als Glass Explorer bewerben, erzählen, was sie mit der Augmented-Reality-Brille tun würden. Eine Jury wählt dann 8000 Personen aus - nach Kreativität, Originalität, Einfluss und, insgesamt betrachtet, der Breite des Testerkreises.

Die Auserwählten erhalten dann für schlappe 1500 US-Dollar ein Exemplar, mit dem sie herumspielen können. Man könnte sagen, Google lässt seine Testimonials auch noch zahlen dafür, dass sie Marketing für die Datenbrille betreiben. Das wäre aber kurzsichtig.




Denn in der Tat geht es bei dem Glass Explorer Programm um einen Betatest. Wie öffentlich der sein wird, bleibt abzuwarten. Zwar unterschreiben Bewerber schon mit ihrer Wettbewerbsbeitrag für #ifihadglass, dass Google den für sein Marketing einsetzen kann, wie es will. Davon, was die Explorer machen dürfen, steht da aber noch kein Wort. Und die NDAs, die Google laut readwrite im Januar Entwicklern im Rahmen des Glass Foundry Programms zukommen ließ, die haben es in sich: Es wirkt ein wenig wie die Drei-Affen-Version mit Datenbrille: Kompletter Maulkorb anderen gegenüber, wenn Google seine Zustimmung nicht gegeben hat, niemand anderes darf die Brille nutzen und mit Glass aufgenommenes Bild- und Videomaterial darf nur mit Googles Zustimmung veröffentlicht werden. Fun Fact: Einige der beeindruckenden Aktionen im Democlip sind Entwicklern faktisch verboten:
Google warns participants not to use Glass while driving, biking, using sharp objects, or playing sports, and to use caution while walking and crossing streets.

Das dürfte nun bei den Explorern weniger radikal ausfallen, nicht nur, weil das dem Marketing-Aspekt der Übung massiv schaden würde. Sondern auch, weil die Zielsetzung eine andere ist als bei Entwicklern. (Dass die Auserwählten nichtsdestotrotz umfangreiche Papiere unterschreiben werden, dürfte klar sein.)



Ein Betatest für Einblicke jenseits des Googleplexes

Denn eigentlich geht es bei den Glass Explorern nicht darum, dass sie als Testimonials der Welt erzählen, wie toll Glass ist und für was sie es alles nutzen. Sie sollen das in erster Linie Google erzählen. Da denkt der Internetriese wie der Ingenieursbetrieb, der er im Herzen ist. Das Glass-Explorers-Programm ist ein Betatest.

Product Director Steve Lee hat das im Gespräch mit Joshua Topolsky von The Verge sehr klar formuliert:
"Currently it’s just our team and a few other Google people testing it. We want to expand that to people outside of Google. We think it’s really important, actually, for the development of Glass because it’s such a new product and it’s not just a piece of software. We want to learn from people how it’s going to fit into their lifestyle." He gets the point. "It’s a very intimate device. We’d like to better understand how other people are going to use it. We think they’ll have a great opportunity to influence and shape the opportunity of Glass by not only giving us feedback on the product, but by helping us develop social norms as well."

Für ein Projekt wie Glass ist es wichtig, einen breiteren Betatest zu fahren. Innerhalb des Googleteams und des Googleplex mögen alle begeistert sein - aber das ist eine sehr spezielle Zielgruppe. Gut vor Augen geführt hat das Google+. Die Tests für den Social Layer liefen innerhalb von Google - und für die Zielgruppe passte Google+ genau. (Fürs Protokoll: Ich mag Google+ auch.) Das Mindset innerhalb des Googleplex bildet aber nicht den Massenmarkt ab. Die Reaktionen rund um Google Glass zeigen die Trennlinien ja schon gut auf.

Auf der einen Seite Spannung, Vorfreude, Begeisterung bis hin zu "Shut up and take my money". Auf der anderen Menschen, die sich fragen, wer das denn brauche. Und die sagen: "Das Ding setze ich doch niemals auf, damit sehe ich doch völlig bescheuert aus.", "Das ist doch nur was für Nerds".

Das ist in der Tat ein Aspekt, dem sich Google widmen muss. Design. Alltagstauglichkeit. Mit Larry Page als prominentestem Evangelisten ist das Gesicht zu Glass quasi Googles Nerd-in-Chief. Dass sich letzte Woche Mark Zuckerberg als großer Fan outete, ändert an dem Nerd-Status auch nicht wirklich was.

Es stimmt ja: Schick sieht anders aus als die dünnen Gestelle mit dem Kasten rechts. Und Googles Track Record bei Hardware und physischem Produktdesign fällt jetzt auch nicht in dem Sinne beeindruckend aus. Das lässt die Meldungen, dass Google mit dem Brillendesign-Startup Warby Parker kooperieren wolle, durchaus glaubhaft wirken. Google hat auch nicht ohne Grund eine Lead Industrial Designerin (Isabelle Olsson) für Glass ins Unternehmen geholt. Die meisten Menschen wählen ihre Brillen- und Sonnenbrillengestelle durchaus bewusst aus. Es geht hier nicht um ein Gadget in der Hosentasche, sondern das, was man mitten im Gesicht hat.

Für eine gewisse Massenmarktkompatibilität muss Google das angehen. Und sich zudem ein möglichst breites Raster an Betatestern zulegen, um festzustellen, wie Menschen Glass überhaupt nutzen und nutzen wollen.


Praxistest

Hands-free auf Bedarf immer mit dem Netz verbunden sein hat seinen Reiz und seinen Witz. Wegbeschreibungen direkt sehen, Suchen direkt ausführen, Fotos und Videos machen, ohne ein Gerät aus der Tasche ziehen zu müssen, mit anderen direkt oder via Nachrichten kommunizieren.

Aber wie das genutzt wird? Was davon einschlägt, was nicht? Und ob es zu mehr oder weniger Ablenkung führt? Auch wie - um auf die von Lee angesprochenen sozialen Normen zurückzukommen - die gesellschaftlichen Rückwirkungen ausfallen, das zeigt nur Praxis. Denn dass Menschen überall in Displays starren wird nicht unbedingt besser dadurch, wenn sie dazu nicht einmal mehr in die Tasche langen müssen. Dass das Gegenüber gerade Mails checkt, unerkannt Fotos macht oder sich sonstwie beschäftigt, ohne dass ein Gerät in der Hand das zumindest anzeigt, dürfte nicht jedem angenehm sein.

Dafür dienen die Explorers - es ist wirklich eine Erkundung. Und Google sucht Betatester mit Begeisterung, die Fehler und Verstolperer akzeptieren. Wie es auf der Glass-Website heißt:
We’re still in the early stages, and while we can’t promise everything will be perfect, we can promise it will be exciting.

Um auf den Punkt "Wer braucht das schon" zurückzukommen: Das ist immer eine heikle Frage, denn was braucht man schon? Und bei vielen technischen Neuerungen gab es vorher Kopfschütteln. Ab und an auch zu Recht. Ganz allgemein unterstützen Konzepte wie Glass die weitere Verschmelzung von On- und Offline. Computing wird ubiquitärer, auch dadurch, dass die Technologie gleichzeitig allgegenwärtiger und unsichtbarer wird. Die Art der Interaktion ist eine direktere. Das ist auch das Spannende an Uhrkonzepten von Smartwatch über iWatch bis Pebble. Ein kürzerer Weg zum Display und zur Interaktion.

Natürlich muss Google dafür noch an Glass arbeiten, auch am Design. Und natürlich sind andere Firmen - nicht nur Apple - in diesem Aspekt historisch betrachtet besser bewandert. Aber Glass ist immer noch ein frühes Modell und wird Nachfolger finden. Nicht nur von Google hergestellte.

Darüber hinaus empfiehlt sich ein Blick in die Geschichte des Industriedesigns, ein Gang durch die Ahnengalerie mit Apple II, IBM-Rechnern und alten Hifi-Systemen. Es ist spannend zu sehen, wie klobig heute wirkt, was einmal die Zukunft war.



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