Mittwoch, 20. Juni 2012

Leistungsschutzrecht: Nicht Füllhorn für Verlage, sondern Büchse der Pandora

Da ist er nun, der Entwurf für das sagenumwobene Leistungsschutzrecht (LSR), die Hoffnung der Verleger. Sein Bekanntwerden letzte Woche löste eine Welle der Entrüstung und des Entsetzens im Netz aus. Bei allem gewollten Hype dabei - die Kritiker haben recht. Der Entwurf in seiner jetzigen Form wird kein Füllhorn für Verlage, aus dem sich Geld über sie ergiesst, sondern die Büchse der Pandora für die Internetriesen, Nutzer und ja, auch die Medienhäuser selbst.

Alternativlos? Nein, den Gegnern fallen sicher einige Ideen anstelle dieses LSRs ein.

Selbst für das Justizministerium und die Bundesregierung kann das noch richtig unangenehm werden aufgrund der vielen strittigen Punkte. Dabei versucht doch der Referentenentwurf klar, den Vorwurf abzuwehren, dass das LSR ein Betreuungsgeld für überalterte Geschäftsmodelle sei:
"Die Einführung eines neuen Leistungsschutzrechts darf jedoch nicht als ein gesetzgeberischer Schutz von alten, überholten Geschäftsmodellen missverstanden werden. Das neue Leistungsschutzrecht kann und soll kein Korrektiv für Strukturveränderungen des Marktes sein, auf die Presseverleger vor allem mit neuen Angeboten reagieren müssen."

Nützt nur nichts, auch wenn sich bislang der Aufschrei nicht auf den Kampfruf "Papier-Prämie" konzentriert. Es geht ja auch viel mehr um die Online-Inhalte von Medien - oder besser, um jegliche Art von Inhalten, die Presseverleger herstellen und die dann online veröffentlicht werden.

Das Grundthema: LSR und das breiteste Gewerbe der Welt

Diese Inhalte sollen - im Schnelldurchlauf für diejenigen, die mit dem Thema bislang weniger zu tun hatten - geschützt werden. In der Form, dass für ein Jahr ab Erscheinen das Veröffentlichungsrecht bei den Verlegern liegt:
"Mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage wird den Presseverlagen das ausschließliche Recht eingeräumt, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Presseverlage können somit auch die Unterlassung unerlaubter Nutzungen verlangen und gewerbliche Nutzer müssen für die Nutzung Lizenzen erwerben."
Klingt jetzt nicht dramatisch. Bis klar wird, dass das nicht nur flächige Übernahmen betrifft, sondern auch Textanrisse von Artikeln samt Link erfasst. Die klassischen Google-Suchergebnisanzeigen würden etwa darunter fallen. Aber noch weit mehr. Denn explizit ausgenommen sind nur Links und Verwendungen nach Zitatrecht. Heißt: Ein Artikel könnte entweder verlinkt werden oder - so Teile des Artikels aufgenommen werden, etwa ein Anriss oder Ausschnitt - als Zitat in einen eigenen Text eingebettet, was gewisse Anforderungen stellt. Kritiker verweisen darauf, dass hier auch zuwenig Trennschärfe gegeben ist, wann das Zitatrecht greift und wann das LSR. Es trifft daher bei weitem nicht nur Google und Aggregatoren.

Der Entwurf versucht zwar zu beruhigen mit dem Satz "Die vorgeschlagene Regelung bedeutet damit keine Änderung der Nutzungsmöglichkeiten für Verbraucher". Das Problem dabei ist nur: Seit Veröffentlichen nicht mehr nur ein Geschäftsfeld, sondern auch ein Button ist (kleine Referenz an Clay Shirky), gibt es gar nicht mehr so viele reine Verbraucher. Insbesondere dann, wenn man "gewerbliche Nutzung" so dreist weit auslegt wie dieser Entwurf:

"Abweichend vom gewerbe- oder steuerrechtlichen Gewerbebegriff erfasst Nutzung "zu gewerblichen Zwecken" jede Nutzung, die mittelbar oder unmittelbar der Erzielung von Einnahmen dient sowie jede Nutzung, die in Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit steht."

Wir definieren uns für das LSR also mal schnell eine eigene Variante von "gewerblichen Zwecken", wie interessant. Das zeigt sich inspiriert von der Kreativität der GEMA, die gegenüber YouTube / Google ähnlich argumentiert. Denn der Witz hieran ist: Es wird unerheblich, ob im Umfeld des betreffenden übernommenen Inhalts überhaupt Werbung vorkommt oder anderweitig Einnahmen erzielt werden. Auch die GEMA will ja ihre YouTube-Gebühren nicht nur nach Einnahmen auf dem Videoportal berechnen, sondern Googles Einnahmen insgesamt miteinbeziehen. Schließlich würden YouTube-Videos ja bei Suchen via Google als Treffer angezeigt und somit der Nutzer auch auf Google monetarisiert. Zudem würde das Angebot attraktiver für Nutzer gemacht, was wiederum Traffic und Monetarisierungsmöglichkeiten erhöhe.

Die LSR-Variante ist nun allerdings nicht mehr kreativ, sondern schlicht dreist. Denn so wird der Interpretationsspielraum, wann ein gewerblicher Nutzer vorliegt und damit Lizenzpflicht, enorm weit.

So schnell soll aus Inhalten Paid Content werden

  • Probleme für Nutzer
Denn damit gerät deutlich mehr ins Visier des LSR als nur Google oder Aggregatoren-Dienste. Jeder Blog, jede Site mit Anzeigen ist dann gewerbliche Nutzung, jede Verwendung mit Bezug auf den eigenen Beruf. Soll heißen: Selbst wenn die entsprechende Seite keine Einkünfte erzielt - wenn es inhaltlich einen Bezug zur eigenen Tätigkeit hat, stellt es gewerbliche Nutzung dar. Anders ausgedrückt: Das Posten eines Artikelanrisses mit Bezug zum eigenen Job wäre kostenpflichtig, selbst wenn es auf einer einnahmenfreien Site passiert. Das öffnet den Gedankenraum dafür, dass auch Posts auf Twitter, Facebook & Co. betroffen wären - selbst wenn der User da nichts verdienen kann.

Als Beispiel: Sagen wir, jemand liest diesen Text und findet ihn so gut, dass er ihn via Facebook teilen will (ja, ich weiß, meine Versuche mit subliminalen Botschaften waren schon mal subtiler). Da fehlt dann der Platz für die Art von Kommentierung und Einordnung, die eine Verwendung nach Zitatrecht erlaubte, stattdessen dominiert etwa der mitgenommene Anriss dieses Textes. Dann wäre das, so derjenige "was mit Medien" macht, wohl lizenzpflichtig. (Nach LSR wäre dieser Blog nämlich höchstwahrscheinlich auch ein durch die Regelung geschütztes Produkt. Ich hätte zwar null Interesse daran, in irgendeiner Form aktiv zu werden - aber der Entwurf würde es wohl hergeben.)

Gerade im Fall von Twitter wäre das herb - denn da Twitter in Deutschland im Wesentlichen von Personen genutzt wird, die im Branchenfeld Kommunikation und Medien arbeiten, ist der Anteil von Tweets mit beruflichem Bezug entsprechend hoch. Wir posten ja nicht nur Links auf Katzenbilder.

  • Probleme für Plattformen und Dienste
Doch nicht nur einnahmenlos postende User gerieten so in Lizenzpflicht: Der Gedanke, die Plattformen und Dienste selbst, die ja sehr wohl Einnahmen erzielen, anzugehen, liegt nahe. Also Twitter, Facebook & Co. Mit der gleichen Argumentation wie oben: Die (von Nutzern) geposteten Inhalte dienen der Attraktivität der Plattform und dem Traffic auf ihr, der wiederum ist Voraussetzung durch die Monetarisierung mit Werbung. Zack, gewerbliche Nutzung. Und die Plattform wird in Störer-Haftung genommen. Auch das ganz nach dem Vorbild YouTube.

Und die Auseinandersetzungen um YouTube wären noch in ganz anderer Hinsicht Vorbild: In Bezug auf jahrelange rechtliche Streitereien, bis Unklarheiten und strittige Rechtsauslegungen geklärt sind. Bei YouTube laufen diese Prozesse bis zum heutigen Tag - und jedes Internet-Unternehmen, das in Störerhaftung genommen werden würde, würde auch den Rechtsweg einschlagen oder sich anderweitig wehren. Etwa durch Sperrung entsprechender Links oder Löschen von Beschreibungen.

  • Probleme für Medienunternehmen
Tatsächliches Zahlen stellt zwar den Erwartungshorizont der Verleger dar - das ist aber keine ausgemachte Sache. Gut skizzierbar an Google, das zentral vom LSR getroffen wird. Denn die Suchergebnis-Anzeigen von Presse-Artikeln würden definitiv kostenpflichtig. Es gibt aber eigentlich nur zwei vorstellbare Szenarien: Entweder handelt Google mit den Verlagen eine halbwegs günstige Gebühr aus - vermutlich eher als Pauschale denn tatsächlich trafficbezogen - oder Google entfernt schlicht Links zu Verlagsangeboten aus seinen Suchergebnissen. In Belgien haben sie das getan.

(Die unterhaltsamste Spielart von Szenario Eins würde es im Übrigen darstellen, wenn Google schlicht alle Verlagsinhalte ausschließlich in Google News packt und dort Paid Inclusion einführt - das heißt, es für Anbieter kostenpflichtig macht, gelistet zu werden. Und das dann so kalkuliert, dass es für die Verlage bestenfalls auf Null rausläuft.)

Daraus wiederum enstünde für die Verlage ein Problem: Google fiele als Trafficquelle aus. Das gleiche gilt für Facebook, Twitter und Co., so die Pressehäuser gegen sie vorgehen. Auch für Blogger und jeden anderen User, der als Konsequenz auf das Posten entsprechender Inhalte verzichtet.

Dieses Wegfallen von Traffic können die Verleger nicht wollen - Einzelne äußern das auch schon deutlich, wenn es um Verlinkungen durch User geht. Bei Spiegel Online heißt es etwa "Sie können auch in Zukunft mit Überschrift und Textanriss auf SPIEGEL ONLINE verlinken. Und natürlich können Sie aus unseren Artikeln zitieren." Fein, nur entscheidet das jeweils der Verlag. Der Referentenentwurf würde es wohl hergeben, das kostenpflichtig zu gestalten. Und wenn jemand, der in der Vergangenheit durchaus auch mit impulsiven Aktionen aufgefallen ist, neben einem steht und mit einer geladenen Waffe spielt, dann beruhigt es nicht wirklich, wenn er sagt "Ach, denk dir nichts, auf dich will ich nicht schießen".

Man fragt sich stattdessen eher, welcher Depp ihm die Waffe samt Munition ohne weitere Aufsicht ausgehändigt hat. Und fürchtet, dass ihm die Gefahr, sich selbst in den Fuß zu schießen, gar nicht bewusst genug ist.

Es reicht nicht, dass Verlage sagen, dass sie das LSR darauf nicht anwenden wollen - es sollte überhaupt nicht möglich sein. Dieser Entwurf birgt Unklarheiten, die nicht mal das Justizministerium selbst auf Anfrage des Handelsblatts klären kann. Ministerium wie auch nachfolgend Gesetzgeber werden ihrer Aufgabe aber nicht gerecht, wenn sie durch neue Regelungen Rechtsunsicherheit erhöhen.


Kein Füllhorn für Verlage

Das LSR stellt kein Füllhorn dar, aus dem es Geld auf die Verlage regnen wird. Auch wenn man polemisch sagen könnte, dass es ja für die Verleger der angestammten Logik entspricht, von Nutzern Geld zu sehen, damit diese die eigenen Inhalte verwenden können: Es ist nicht die flächendeckende Einführung von Paid Content qua gesetzlicher Regelung. Denn Internetunternehmen wie auch Blogger, User oder andere Medien werden sich wehren und ausweichen.

Es wird rechtliche Streitereien geben um zu klären, was Nutzung zu gewerblichen Zwecken ist, was durch Zitatrecht geschützt ist und was nicht, ab wann überhaupt etwas übernommen wurde. Entsprechende Fälle zu entdecken, abzumahnen und dagegen vorzugehen, finanziert Anwälte und Rechtsabteilungen - nicht Verlage. 

Und auch wenn das vielleicht in den feuchten Träumen mancher Manager vorkommt: Nutzer werden sicherlich nicht dafür zahlen, Verlagsangeboten via Verweisen auf Artikel Traffic zuzuspielen. Würden Verlage das ernsthaft glauben, hätten sie gleich Preisschilder an den zahlreichen Share-Buttons anbringen können, mit denen sie ihre Webseiten zugekleistert haben. Auch deshalb, weil man jedem Einzelnen für jeden Artikel die gewerbliche Nutzung nachweisen müsste. Ein irrwitziger Papierkrieg wäre die Folge.

Es wird hier aber nicht ausreichen, zu sagen "Ich könnte dagegen vorgehen, werde es aber nicht". Das stellt keine Grundlage dar, auf der andere handeln können. Stattdessen müsste klar umzäunt sein, was lizenzpflichtig ist und was nicht - inklusiver transparenter Gebührenlisten. Sonst entsteht daraus ein Instrument für Willkür.

Sinnvoll wäre ein LSR höchstens in der Form, dass es klar und eingegrenzt das Vorgehen gegen flächige Kopien erlaubt. Das wäre zwar momentan auch möglich, aber nur durch Uberheberrechts-über-Eck-Konstruktionen. Hier Vereinfachung schaffen - in Ordnung. Auch über den Bereich von kommerziellen Aggregatoren, die sonst gar nichts leisten, lässt sich nachdenken. Das Vorgehen gegen Google erscheint mir nach wie vor nicht schlüssig. Und Nutzer mit breitester Gewerbe-Definition anzugehen, ist aberwitzig.

Büchse der Pandora

In dieser Form ist das LSR die Büchse der Pandora - nur Anwälte werden sich darüber freuen, was rauskommt. Nutzer und Netzunternehmen raubt es Rechtssicherheit, weil bei zu vielen Punkten unklar ist, ob sie erlaubt sind oder nicht. In der Folge kostet es den Netzdiskurs Inhalte - weil sich Verweise reduzieren werden. Und die Verlage wird es Reichweite kosten. Mehr Reichweite und damit mehr Traffic, als das LSR einbringen wird.

Es sei denn, sie verpflichten sich darauf, ohnehin nur gegen große Firmen vorgehen. Dann entsteht aber Willkür aufgrund einer viel zu breit formulierten rechtlichen Regelung. Oder das LSR wird - weil es in den rechtlichen Abwägungen gegen Zitatrecht & Co. verliert - zum zahnlosen Tiger, der nirgends zum Einsatz kommt. Dann war der Aufwand überzogen. Wenn es denn überhaupt durchkommt und nicht aufgrund der Debatten vor der Verabschiedung scheitert.

Den Aufwand hätten sie ohnehin besser in andere Dinge gesteckt. Die Weiterentwicklung und vernünftige Gestaltung eigener Angebote etwa. Aber dazu bei nächster Gelegenheit mehr. Dieser Riemen ist eh schon verflixt lang geworden.




Kleine Leseliste:


Spiegel Online: Diesen Text bitte zitieren und verlinken
Law Blog: Digital kastriert
Stefan Niggemeier: Das Leistungsschutzrecht: Selten war es so tot wie heute
BDZV: Leistungsschutzrecht für Verlage - Fakten und Argumente
Indiskretion Ehrensache: Der Wahnsinn Leistungsschutzrecht und warum ich nicht auf Verlage verlinke



1 Kommentar:

  1. Dieser "Riemen" ist nicht nur lang, sondern er ist auch verflixt gut! Letztlich wird das Internet in seiner Grundfunktion und die Macher in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt. In der Aussage, die mit meinem Artikel unter http://www.atase.de/blog/netzwelt/mitmachaktion-freiheit-im-internet-das-mindestmass/ ziemlich übereinstimmend ist. Für die Politik, die dahinter steckt, sehr beschämend. Als langjähriges ver.di-Mitglied war ich von deren Statement leicht geschockt. Die hatten sich lediglich in Ermangelung einer konkreten Urheberbeteiligung gemeldet. Dem DJV ist dann aufgefallen, dass die Pressefreiheit eingeschränkt werde. Na, das steht dann synonym für die Meinungsfreiheit aller anderen. Und das sollen wir uns gefallen lassen? NEVER!

    LG Simone

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