Freitag, 16. August 2013

Amazon, der Shitstorm und der datengestützte Zynismus - Was bleibt?

Machen wir ein Update zu Shitstorms und ihrer Halbwertszeit in der Aufmerksamkeitsökonomie: Amazon, war da was? Vor einem halben Jahr ging es rund im Netz (und auch in Medien), der Online-Versandhändler bekam nach einem Leiharbeiter-Beitrag der ARD verbal richtig aufs Dach. Dazu hatte ich einen Blog-Artikel geschrieben:

Darin schrieb ich auch: 
"Denn der Aufregung im Netz, den Abschwörungen des Kaufs bei Amazon, den wütenden und entsetzten Worten werden eben keine Taten folgen. Einen spürbaren Schaden würde es aber nur auslösen, wenn sich das Kaufverhalten tatsächlich ändern würde. Druck substanziell und nachhaltig entstünde. Was nicht passieren wird.

(...)

Wer jetzt völlig entrüstet darüber ist, dass ich unterstelle, seine Empörung werde keine Konsequenzen nach sich ziehen, nimmt bitte an folgendem Experiment teil: Ruft den elektronischen Kalender eurer Wahl auf und stellt euch eine Terminerinnerung ein für - machen wir es uns einfach - den 15.8.2013: "Meine Bestellungen bei Amazon checken". Ist der zweite Menüpunkt im Kundenkonto. Auftrag dazu: "Bestellungen seit 15.2.2013 zählen"."

Und nun? Wie sieht der Kassensturz aus?

Jeff Bezos hat gut lachen. Bild: Amazon.com
  

Haben die Menschen ihr Konsumverhalten verändert? Musste Amazon nachhaltig reagieren? Brennen die entrüsteten Kritiker noch immer vor Zorn?

Beginnen wir bei Facebook: Gibt's noch Kritik von Nutzern? Ja. An Lieferzeiten. 

"wenn ich etwas bestelle was auf Lager ist, dann erwarte ich, dass es am nächsten, spätestens am übernächsten Tag versendet wird"
"Ich war es immer gewohnt zu bestellen und spätestens am nächsten Tag die Versandmitteilung zu haben. Meist sogar noch am selben Tag wenn ich früh bestellt habe.Mittlerweile zieht sich das schon mehrere Tage hin bis sich irgend etwas tut.Sorry, aber das ist Mist - das war schon deutlich besser."

Das ist es aber auch im wesentlichen, was die Gemüter noch bewegt.

Haben die Menschen ihr Konsumverhalten verändert? Naja.  Im April behaupteten zumindest 19 Prozent der von YouGov Befragten, ihr Kaufverhalten ändern zu wollen. Und 12 Prozent wollten gar nicht mehr bei Amazon bestellen. Noch fehlen neuere Daten. Da dürften diese Werte vermutlich geringer ausfallen. Sicher gibt es manche, die Konsequenzen gezogen haben, die zu ihrer Empörung auch mit Taten standen. Aber es dürfte nur ein Bruchteil sein. Bislang zumindest sind mir keine Jubelarien anderer E-Commerce-Anbieter oder stationärer Händler zu Ohren gekommen, dass sie von Ex-Amazon-Kunden überrannt werden würden. Ich hätte hier gern genauere Daten, so lässt sich wenig sagen.

Hat Amazon Schaden genommen? Für das zweite Quartal vermeldete Amazon Verlust. Der lag aber laut Unternehmen an Investitionen und Wirtschaftskrise in Europa. Und bei Amazon gehört es zum normalen Bild, immer wieder mal Verluste zu machen. Der Umsatz interessiert Jeff Bezos deutlich mehr. Und beim Umsatz legte der Konzern global um 22 Prozent zu. Auch die Verkäufe außerhalb der USA stiegen weiter an.

Die Image-Werte? Die hatten im April deutlich gelitten. Aber auch hier bräuchten wir neuere Daten. Und, wie gesagt, wenn daraus nichts folgt, weil Kunden Konkurrenzanbieter nicht als gleichwertige Alternative sehen, dann ist das nur mittelfristig von Bedeutung. 

Hat sich in der Sache etwas getan? Amazon hat sich schnell von den in dem Beitrag genannten Firmen distanziert. Das war ein wichtiger Schritt. Die Firmen selbst lieferten sich mit dem für den Beitrag verantwortlichen Hessischen Rundfunk vor Gericht noch Nachgeplänkel, was aber ohne größere Konsequenzen blieb.

Und sonst? Ist die Karawane weiter gezogen. Und Schaden für Amazon - vom Image-Aspekt abgesehen - kann ich keinen feststellen.

Die Amazon-Belegschaft, gerade am thematisierten Standort Bad Hersfeld, streikt übrigens alle paar Wochen. Nach wie vor. Darüber - bevor die Ausrede jetzt wieder kommt - wird auch berichtet. (Hier, hier und sogar hier), es interessiert bloß nicht mehr groß.

Beschwerden über Amazon, die gibt es momentan, weil die Lieferung dauert. (Das könnte übrigens sehr wohl eine Streikfolge sein, auch wenn das Unternehmen sagt, es würde nichts davon bemerken.) Oder weil Dauer-Retournierer ausgeschlossen werden. Forderungen? Gibt es nur nach schnelleren Lieferungen oder anderen Details der jeweils eigenen Bestellung, nicht auf Dinge, die die Unternehmenspolitik betreffen würden.

Jenseits dessen ist das Interesse abgeflaut. Richten sich Wut und Zorn auf andere, neuere Aufreger. Die dann genauso wieder vom Aufmerksamkeitshorizont verschwinden. Oder hat jemand Daten, die etwas anderes zeigen?

Mehr Informationen würde ich für ein genaueres Bild durchaus begrüßen. Wer also Daten an der Hand hat oder Erfahrungen teilen will, nur zu!








2 Kommentare:

  1. Alles auf den Punkt gebracht. Auch wenn in meiner Arbeit der Amazonfall nicht mehr analysiert wurde, bestätigt er doch meine Ergebnisse: nachhaltige Schäden haben Shitstorms nicht (vgl. Salzborn 2014; s. auch Pfister 2013) ^^

    Viele Grüße

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  2. Wir würden zuviel erwarten, erwarteten wir, dass der Shitstorm tatsächlich nennenswert (für Amazon) spürbare Folgen nach sich ziehen konnte. Ich schätze, dass überhaupt nur ein Bruchteil der Amazon-Kunden diesen überhaupt wahrgenommen hat. Und davon zieht wiederum nur ein Bruchteil der Kunden ernsthaft eigenes Folgeverhalten in Betracht, über die momentane Aufregung hinaus.

    Ich denke, die meisten sehen es eher so, dass Amazon nur eines einer schieren Unzahl von Unternehmen ist, die derart rücksichtslos und desinteressiert mit Mitarbeitern umgehen. Bei diesem Konzern ist es eben mal unangenehm öffentlich aufgefallen, bei mehr oder weniger allen anderen vermutet aber auch gar kein anderes Verhalten.

    Das andere aber:

    Ich habe mein Kaufverhalten tatsächlich geändert, meine Bestellungen bei Amazon auf unter ein Drittel der Vorjahre reduziert und dabei eine ganze Reihe anderer, kleinerer Onlinehändler entdeckt, zu denen ich vor allem für Bücher, Musik und Filme gewechselt bin. Und einen Kindle habe ich schließlich und endgültig auch nicht gekauft, sonder ein anderes, weitgehend Anbieter-unabhängiges Gerät.

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