Sonntag, 29. April 2012

Festschrift zum Relaunch, garantierte Lesefreiheit trotz LSR: Wie sich Medien im Netz verheddern

Gelegentlich entsteht der Eindruck, klassische Medien verstehen nur Chinesisch, wenn es um das Netz geht. In der Art, dass sie das Internet interpretieren wie das chinesische Zeichen für Krise, das Elemente von "Gefahr" und "Chance" enthält, und nur das Eine oder das Andere sehen.

Zwischen diesen Polen schwankten die bemerkenswertesten Netz-Aktionen klassischer Medien vergangene Woche zumindest deutlich.

Auf der einen Seite das ZDF, das die Art von Enthusiasmus der Öffentlich-Rechtlichen für Digitales zeigte, der den privatwirtschaftlichen Medien oft ein Dorn im Auge ist. Andere Medienkonzerne verschicken eine Pressemitteilung, wenn sie Websites relaunchen. Das ZDF macht eine Festschrift daraus. 14 Seiten inklusive Grußworten des Chefredakteurs und des Leiters der Hauptredaktion Neue Medien.

Quelle: ZDF.de

Wer die Zeit dafür nicht hat: Die Mainzer relaunchen ZDF.de, heute.de und ZDFsport.de. Bilder und Videos werden prominenter. Chefredakteur Peter Frey begründet letzteres mit der Erkenntnis: "Die Menschen verbinden die Marke ZDF mit Information und Unterhaltung in Bewegtbild." An dieser Stelle bitte ein Loriot'sches "Ach was" vorstellen.

Jenseits des Sarkasmus bleibt allerdings, dass die Modernisierung  der Seiten und die Anpassung für mobile Geräte mit Mobile Sites statt Apps schlüssig scheint und ganz generell das ZDF einen guten Job im Netz macht - auch in Richtung Social Media gedacht. Obwohl eine festschriftartige PM in ihrer Form den bürokratisch-steifen Enthusiasmus eines großen Apparates belegt, bleibt doch, dass dieser  Enthusiasmus besteht, irgendwie sympathisch und ehrlich wirkt.

Mehr Gefahr als Chance?

Den Verbänden der privatwirtschaftlichen Medien VPRT (Rundfunk), BDZV und VDZ (Print) wird diese Begeisterung wie üblich die Laune verderben. Weil dort ganz generell jede Aktion der Öffentlich-Rechtlichen auf Ablehnung stößt, erst recht, wenn es um Internet-Projekte geht. Die müssen da schließlich dank ihrer Gebühren ja kein Geld verdienen und schaffen so hinderliche Konkurrenz im Streit um die "lousy pennies". Man denke an den Konflikt in Sachen Tagesschau-App.

Um das Thema Geld im weiteren Sinne ging es dem BDZV vergangene Woche ganz explizit, als der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger stilgerecht zum Tag des Geistigen Eigentums verkündete, Mitglied der Content-Allianz zu werden und sich erneut für ein Leistungsschutzrecht stark machte. Gegenstand der Kritik:
Unternehmen, die "Geschäftsmodelle darauf aufbauen, digitale Inhalte der Zeitungen und Zeitschriften gewerblich zu nutzen, ohne hierzu von den Verlagen legitimiert zu sein oder etwas dafür zu bezahlen."
Übersetzung: Sites, die Inhalte von Medien übernehmen und in deren Umfeld Werbung schalten. Bei ungefragten flächigen Übernahmen ist das unstrittig ein Problem, allerdings auch schon rechtlich abgedeckt. Die Verleger nehmen mit dem LSR in erster Linie Aggregatoren und Google aufs Korn und möchten explizit auch für Snippets, also zweizeilige Übernahmen von Texten, Geld sehen. Was ich davon halte, dass die Verleger von Google Geld dafür wollen, dass es ihnen Traffic bringt, habe ich hier schon geschrieben.

Jetzt geht es mir auch viel eher um den Pro-Leistungschutzrecht-Film, den der BDZV zusätzlich präsentiert hat. Als Verband gehört es ja dazu, Kampagnen zu fahren. Aber dann lasst das Material doch bitte von jemandem erstellen, der sich damit auskennt. Dieser Clip ist derart schlecht, dass vermutlich noch nicht mal Antwort-Parodien entstehen werden. Dieses bemüht joviale, pseudonutzernahe Erklärbärvideo geht nun wirklich nicht.

  • Es beginnt schon damit, dass die als Nutzerin durchgeschleppte Identifikationsfigur gleich mal "Sam" heißt. Das soll wohl jung und hip wirken, kommt aber eher ungeschickt-anbiedernd rüber. Wie viele weibliche Sams kennt ihr denn so, die sich Gedanken ums LSR machen?
  • Bei Minute 2:58 wird dann im Bild das Content-Männlein dargestellt, im Voiceover aber von den Verlagen geredet. Eine bis zu diesem Punkt aufrecht erhaltene Trennung fällt also zusammen auf eine Art, die Gegenpolemiken eine Steilvorlage liefert. ("Ihr sagt Urheber, meint aber eigentlich...")
  • Noch besser ist nur die Vorlage kurz vor Minute Vier, als es darum geht, die Nutzer auf die eigene Seite zu bringen und zu zeigen, dass es ja nicht gegen sie, sondern gegen die bösen Unternehmen geht (die Aggregatoren betreiben oder mit G anfangen). Da heißt es dann beruhigend:
"Das Lesen, Ausdrucken und Speichern bleibt auch für gewerbliche Nutzer erlaubt wie bisher!"
Ah toll, danke. Wir dürfen also eure Inhalte nach wie vor lesen, ohne gegen Urheberrechte zu verstoßen? Wie großzügig.

Wer textet denn sowas?

Das ist nicht nur peinlich verstolpert, es dient gleichzeitig als Trittstein für einen Treppenwitz, wenn Google sich in der LSR-Diskussion für den einfachsten Weg entscheiden sollte: Die Texte eben nicht mehr zu lesen, sprich, keine Crawler-Ergebnisse von Medienseiten mehr anzuzeigen. Ihr dürft ja Kampagnen machen, aber macht sie doch bitte gut.

Natürlich ist die Diskussion um geistiges Eigentum und Weiterentwicklungen wichtig. Natürlich gilt es, das Problem zu lösen, wie nachhaltige Geschäftsmodelle im digitalen Feld aussehen können. Dieser Clip hilft allerdings in diesen Debatten kein Stück weiter. Ganz generell habe ich Zweifel, dass es zielführend ist, auf die Windmühle "Geld von Google" zuzuhalten und sich allseits von grassierender Kostenloskultur umzingelt zu sehen. 

Seitenwechsel


Vergangene Woche zeigten klassische Medien also in Bezug auf digitale Medien einerseits ungelenke Begeisterung und andererseits misslungen altbackene Polemik. Und interessanterweise waren es die Öffentlich-Rechtlichen, die dabei offener und glaubhafter wirkten.

Vielleicht sollten sich die privatwirtschaftlichen (Print-)Medien hier tatsächlich mehr ein Beispiel am alten Erbfeind Öffentlich-Rechtliche nehmen, die mehr Chancen als Gefahren sehen. Die sich dem Thema aufgeschlossen nähern und dabei in der Tonalität nicht versuchen, anders zu klingen als sie selbst. Und nicht so verunglückte Videos produzieren.

14-seitige Pressemitteilungen müsst ihr allerdings nicht gleich schicken.


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