Amazon-Boss Jeff Bezos ist schon ein bemerkenswerter Fuchs, ein Erfolgsunternehmer und ein Innovator. Das kann man neidlos anerkennen. Sein neuestes, hochfliegendes Kunstwerk ist schon fast ein Lehrstück des zahlenorientierten Gründers: Eine vermutlich sauber achtstellige Medialeistung direkt zum Cyber Monday, also einem extrem umsatzlastigen Tag im US-amerikanischen E-Commerce-Markt, für fast umsonst erzielen.
Es braucht bloß zwei kleine Plastikdrohnen, einen schnell runtergekurbelten 80-Sekünder und, am wichtigsten, er durfte nicht anfangen zu lachen, während er dem CBS-Moderator Charlie Rose die Pläne zu Amazon Prime Air verkauft hat. Und schon fliegt der PR-Ballon auf Felix Baumgartners Spuren gen Stratosphäre.
Die zwei Plastik-Octocopter da auf dem Tisch, die sind nebensächlich. Die Drohnen, die Bezos so meisterhaft dirigiert, das sind wir. Genauer: jeder, der fröhlich mehr heiße Luft in den Ballon geblasen hat, statt die Nadel zu zücken.
Die zwei Plastik-Octocopter da auf dem Tisch, die sind nebensächlich. Die Drohnen, die Bezos so meisterhaft dirigiert, das sind wir. Genauer: jeder, der fröhlich mehr heiße Luft in den Ballon geblasen hat, statt die Nadel zu zücken.
Aber der Reihe nach. Amazon Prime Air stellt er vor als ein Konzept, Amazon-Lieferungen in Großstädten via Drohne durchzuführen. Bestellen - zack, binnen 30 Minuten kommt die vollautomatische Brieftaube und setzt ihr Päckchen ab.
Für Lieferungen von maximal 2,5 Kilo.
Mit einer Reichweite von 16 km.
In bestenfalls vier, fünf Jahren.
Wenn die amerikanische Aufsichtsbehörde FAA sich überhaupt dazu durchringt, Drohnen für derartiges zuzulassen.
Alles Dinge, die Bezos bei CBS völlig offen zugibt.
Völlig unbelastet davon hob die Geschichte trotzdem ab. "Amazon will via Drohne liefern" - alles andere sind doch nur lästige Details.
Die Flughöhe dieses PR-Ballons fiel beachtlich aus. Business Insider rechnet mal großzügig die Gesamtlänge des CBS-Beitrags auf deren Werbepreis um und kommt so zu drei Millionen Dollar Medialeistung, die Amazon sonst hätte zahlen müssen, um ähnlich viel Aufmerksamkeit zu erzielen. Man ist versucht, nur die zweieinhalb Minuten über das Drohnen-Gesumms gelten zu lassen, aber dann sieht man, wie CBS selbst die Drohnenkiste bis zum letzten Tropfen melkt - Clip, in dem CBS-Mitarbeiter sich mehr als vier Minuten lang gegenseitig erzählen, wie toll das ist inklusive.
Also gut, sagen wir drei. Und mit den Wellen, die das anderweitig geschlagen hat, kommen wir locker in den zweistelligen Millionenbereich.
Ein PR-Ballon, der die Marke Amazon zum umsatzträchtigsten Zeitpunkt schön weit hoch in der Aufmerksamkeit trägt.
Heiße Luft für das PR-Perpetuum Mobile
Dabei ist es heiße Luft, alles andere in dem Beitrag hat mehr Substanz. Ganz großartig ist auch die hierbei auftretende Diskrepanz: Zu so ziemlich nichts anderem nennt Bezos konkrete Zahlen.
Schönste Stelle:
Charlie Rose: Are you working on a set top box that will allow people to watch streaming video and not need to have cable television?
Jeff Bezos: I can’t answer that question (laughs). I don’t wanna talk about the future roadmap of our devices.
Was zu konkret in Arbeit befindlichen Produkten sagen? Nicht doch. Dann könnte man ja gleich Zahlen zu den eigenen Tablets nennen oder sich sonstwie in die Karten schauen lassen.
Aber Drohnen als Lieferjungen? Auf einmal hagelt's Zahlen. Wen interessiert auch in vier, fünf Jahren, was Bezos da sagt. Das interessiert ja schon nächste Woche keinen mehr.
Geniestreich. Bezos, der ja klassischerweise nicht gern Geld für Marketing ausgibt, erzielt mit minimalen Einsatz einen sauberen Viraleffekt. Weil der Ballon für alle anderen viel zu verführerisch nach oben stieg, um sich nicht auch noch dranzuhängen und gleichzeitig noch mehr heiße Luft reinzupumpen.
Versteht mich nicht falsch: Ich glaube Bezos, dass er ein paar Leute daran schrauben lässt und die Idee ganz witzig findet. (Tue ich im abstrakten auch.) Aber das ist eine Spielerei.
Und es gibt nur einen Grund, dass jetzt als die große Neuerung und eine Weltneuheit zu verkaufen: Den Cyber Monday, gepaart mit dem Wissen, dass sich Blogs und Medien auf die Luftnummer stürzen werden.
Debatten mit dem Kartellamt oder anderen Behörden?
Pff. Warum dazu oder zu einer Machtstellung, bei der nur andere Riesen wie Apple und Google mithalten können, was sagen?
Wenn auch "Hey, schau mal, eine Drohne!" funktioniert.
Die Drohnen, das sind wir
Die Prime Air Drohnen heben wohl nie flächendeckend ab. Das ist für Amazon aber auch gar nicht notwendig, denn die Fernsteuerung beherrschen sie schon bestens. Nur die Drohnen, die sind in dem Fall wir. Tech-Schreiberlinge, Blogs, Medien, das Social Web, die Endkunden. Wie auf Befehl aufgestiegen.
Mit einer ähnlich umweltfreundlichen, grünen Energiequelle, wie sie Bezos bei den Drohnen anpreist. Bullshit ist nämlich biologisch abbaubar.
Der Grund, warum das funktioniert hat, ist der gleiche wie sonst auch: Es glitzert so verheißungsvoll, es steigt so nach oben, jeder hängt sich dran.
Ein paar noch in der pseudokritischen "Ist das denn überhaupt in Deutschland rechtlich machbar"-Fassung, um journalistische Kompetenz vorzutäuschen. Nur einzelne - wie Sascha Pallenberg - in der direkten Ansage, dass das eine Marketing-Luftnummer ist.
Das wäre aber die Aufgabe gewesen. Nicht die Luftpumpe spielen, sondern die Nadel, die in den PR-Ballon reinpiekst. Nicht die Aufregung noch mehr anfachen, sondern Bodenhaftung herstellen. Nicht, wie Jeff Jarvis sagte, Virus sein wollen, sondern Leukozyt.
Eine Rolle, die auch gewürdigt wird, wenn man sich ansieht, wie die Resonanz auf Kollege Frank Zimmers brillant hintersinnige Kritik an der Aufregungsökonomie am Beispiel Gabriel/Slomka ausgefallen ist.
Als Drohne erfüllt man schließlich nicht nur seine Informations- und Orientierungsfunktion nicht und gondelt fremdgesteuert durch die Gegend. Drohnen brauchen perspektivisch auch keinen Piloten mehr. Gedankenloses Schwarmverhalten lässt sich super automatisieren.
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Aber .... Aber ... ich hatte schon so schöne Netze im Kopf, mit denen wir wie im Schlaraffenland einfach die Lieferungen aus der Luft fischen könnten ... So ein ... pfff ... ;-)
AntwortenLöschenEndlich schreibt mal einer das auf, was ich seit gestern denke ... Danke.
AntwortenLöschenAuch wenn ich die Meldung ebenso für eine Marketing-Aktion halte, so komme ich zumindest zu einem anderen Fazit: Ich glaube sehr wohl daran, dass in 4-5 Jahren Drohnen in vielfältigen Formen in unseren Alltag einziehen werden. Wieso also nicht auch als Express-Lieferjunge. Und wenn das einer schafft, dann Amazon... Aber ich denke vorher startet Google Drohnen für bessere Maps-Ergebnisse in Echtzeit...
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