Samstag, 28. Dezember 2013

Eine Studie in Digital Oder Sherlock, Doctor Who, die BBC und das Netz

Das Interessante an alten Hunden ist: Einige von ihnen sind wirklich gut darin, neue Tricks zu lernen. Für "alte Medien" gilt das auch. (Meist deshalb, weil der Trick eigentlich nicht neu ist, sondern nur seine Adaption.) Oft genug geht, wenn es um die Zukunft des Journalismus geht, der Blick zu Traditionstiteln. Zur grauen Lady New York Times. Zum britischen Guardian. Im deutschsprachigen Raum auch zur Zeit oder zur alten Tante NZZ. 

Und wenn es um die Zukunft von TV sowie die Verbindung von Mattscheibe und Netz geht, dann ist die BBC definitiv einen Blick wert. Die Art, wie the Beep für Formate wie Sherlock, Doctor Who oder Top Gear das Publikum im Netz umgarnt, könnte für ein paar elementare Erkenntnisse gut sein.

Am besten sichtbar wird dieses Vorgehen sogar bei Formaten, die an und für sich alt sind. Jüngstes Beispiel stellen die Promotion-Maßnahmen rund um den Start der dritten Staffel von Sherlock dar - eine in die Gegenwart übertragene Neuadaption des klassischen Detektivs. Nach zwei Jahren Sendepause muss man schon mal auf die nächste Ausstrahlung aufmerksam machen. Und der BBC gelingt das weltweit mit ein paar Clips. Nach Teasern und Trailern folgte kürzlich mit der Kurz-Webisode Many Happy Returns der Höhepunkt. Ein knapp siebenminütiges Prequel zur ersten Folge der neuen Staffel, die zu Neujahr fällig ist.

Nicht billig geschraubt, nicht achtlos hingeschmissenes "irgendwie müssen wir das Publikum ja bei Laune halten"-Material, sondern vom selben Team als detailliert durchkonzipierte Geschichte in guter Weblänge hochwertig produziert.

Und viral genug, dass der Siebenminüter mir mehrfach in meinen Streams begegnete, auf Facebook, Twitter oder Medienplattformen. So geht Content Marketing.


Bild: Screenshot.



Alles übrigens keine britischen Quellen. Denn das ist ebenfalls bemerkenswert an der BBC: Mit ihren Leuchtturmformaten schaffen sie den Spagat, britisches Kernpublikum und globale Zuschauer jenseits der Insel zu erreichen. Das wird durch die immer engere Verflechtung der Welt durch das Netz auch ständig einfacher. Es ist bemerkenswert simpel für Produzenten und Sender geworden, direkt mit dem globalen Publikum in Kontakt zu treten. Auch mit denen jenseits des Kernmarktes. Denn ein gewisser, nicht insignifikanter Teil des Publikums hat sich vom klassischen Windowing-Modell gelöst, wartet nicht die nationale Verfügbarkeit des Materials ab, sondern will Seriennachschub so schnell wie möglich. 

Im Fall der BBC, die mit BBC Worldwide einen eigenen kommerziellen Arm hat, der sich um die internationale Vermarktung kümmert, hat das durchaus Vorteile. Denn das erreichbare Publikum - und hier eines, das sich auch monetarisieren lässt - wird so deutlich größer. Für das früher extrem schleppende US-Geschäft hat sich das schon als Vorteil erwiesen.

Ein TV-Serienspecial als internationales Event

Die für sich stehende Kurzepisode dient als Prequel zum Staffelauftakt und teasert diesen gekonnt an. Gleichzeitig ist sie fürs TV-Publikum als Vorwissen nicht notwendig. Das gleiche Verfahren hat die BBC im Vorfeld des 50-Jahre-Specials von Doctor Who eingesetzt. (Oder das Team um Steven Moffat, der Sherlock wie auch Doctor Who verantwortet und einer der besten lebenden Drehbuchschreiber und Showrunner ist.)  Da erschien im Netz vor dem TV-Special The Day of the Doctor der Kurzfilm The Night of the Doctor. Ein Baustein - wenn auch nicht der entscheidende - dafür, dass das Special für die BBC das erfolgreichste, sprich quotenträchtigste Drama des Jahres wurde. Und dass zu der TV-Erfolgsmeldung noch einige Millonen im UK-Catchup sowie rund um den Globus kamen. Das Special wurde sogar in 94 Ländern synchron ausgestrahlt. Ein Serienspecial als internationales Event mit Millionenpublikum. Nicht schlecht für ein 1963 ins Leben gerufenes Kinderprogramm, das eigentlich zutiefst britisch ist.

Der Erfolg hier hängt nicht an einem Webclip, das ist klar. Aber was die BBC da hinstellt, zeigt das Zusammenspiel: Hochwertige eigene und kreativ überzeugende Inhalte als Kernprodukt, die mit gezielten Maßnahmen ihr Publikum erreichen. Über Clips, Kurzfilme, Blogs und ein Social-Media-Konzept, das Fankultur explizit fördert. BBC America rebloggt etwa auf Tumblr Faninhalte - in Deutschland käme stattdessen vermutlich ein Anwaltsschreiben. (Ja, auch weil wir kein Fair-Use-Recht haben, aber es geht auch um die Haltung dahinter.) 

Ein Verfahren, das die Zielgruppe aktiviert - direkt oder über Multiplikatoren - und dabei weit effizienter sein dürfte als normale Werbekampagnen. Das hier stellt richtig eingesetztes Content Marketing dar. Und gute Bewegtbildgeschichten sind ja gerade die Stärke der Produzenten hier. Es geht um gute Geschichten - und darum, wie diese sich verbreiten. Wenn man sein Handwerk so beherrscht wie die Sherlock-Macher, dann springt der Funke über. Und aus dem Funken wird vielleicht nicht ganz das Lagerfeuer früherer Straßenfegerproduktionen - dafür leuchten sie rund um den Erdball auf. Besonders hell in Großbritannien, in denen derartige Maßnahmen das Interesse vor der Ausstrahlung gekonnt anfachen.



Was die Briten so schaffen, ist ein Kontakt sowohl zum eigenen TV-Kernpublikum als auch jenseits dessen. Auch das nationale Publikum muss schließlich nach zwei Jahren Pause aktiviert werden. Im Rahmen des iPlayers sowie der sonstigen Webaktivitäten ist die BBC hier ohnehin recht erfolgreich und deutlich weiter als ihre deutschen Vettern mit ihren Mediatheken. In einem Fall wie diesem kann es so auch gelingen, eine Serienausstrahlung zum Eventtermin zu stilisieren.

Und was das nichtbritische Publikum angeht, ensteht so die Möglichkeit, direkt mit ihnen Geschäft zu machen. Denn soviel ist auch klar: Intelligent gemachte Formate sind nicht immer die quotenträchtigsten. Auch das 50-Jahre-Special von Doctor Who wurde am Ausstrahlungstag von der britischen Tanze-mit-C-Promis-Seichtigkeitsveranstaltung Strictly Come Dancing locker quotentechnisch abgehängt. 

Der Detektiv und das Rätsel um die Zukunft von TV

In der ewigen Debatte darum, warum es so viel Schrott im Fernsehen gibt und wie sich anspruchsvollere Formate überhaupt wirtschaftlich umsetzen lassen, ist daher der entgrenzte Gedanke interessant. Wenn sich dank des Netzes die Grenzen von Ausstrahlungszeitraum, direktem Quotendruck (im linearen Fernsehen gibt es nunmal eine begrenzte Zahl von Slots, in denen der Sender dann auf Quote optimiert) und Publikumszugang aufheben lassen, dann ändern sich auch die betriebswirtschaftlichen Grundlagen. Wenn perspektivisch über Video-on-Demand-Lösungen und ein global verteiltes Publikum qualitativ hochwertige Produktionen refinanziert werden können, dann steigen deren Chancen. 

Wir sind aber noch weit von dem Punkt entfernt, dass sich dieses Modell ohne TV-Ausstrahlung rechnet. Netflix hat sich House of Cards auch aus Imagegründen geleistet, die Ausstrahlung dort hat das nicht refinanziert. Die BBC macht mit ihren Formaten gerade vor, wie sich auch TV stützen und das Publikum dorthin lotsen lässt. Und beides zeigt ein paar Optionen auf, wie die Zukunft von TV aussehen kann. Denn ganz ehrlich: Youtube-Stars stellen keine umfassende Antwort auf diese Frage dar. Da hochwertige Produktion aber nunmal Geld kostet, geht es um Modelle, wie die refinanziert werden können. Und wie weit sich das vom noch immer starken Hebel nationaler TV-Stationen entkoppeln lässt.

Bei Sherlock jedenfalls werden die Zahlen interessant sein. Rund vier Millionen Youtube-Aufrufe für die Kurzepisode (da fehlen die des britischen iPlayers) sind zwar ordentlich, global betrachtet aber eher überschaubar. Interessanter ist vermutlich die Aktivierung der Multiplikatoren unter den Zuschauern, die so rechtzeitig vor der Ausstrahlung im Freundeskreis trommeln. Wir werden sehen, mit welchen Publikumszahlen der verschrobene Detektiv Antworten auf das Rätsel gibt, wie die Zukunft von TV aussieht.



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