Sonntag, 3. Februar 2013

Homeland - Psychologisches Ballett auf Treibsand

Eine der grandiosesten TV-Serien der letzten Jahre feiert ab sofort ihre Premiere im deutschen Free TV: Homeland. Richtig, das ist die, über die wir von den Medien uns in den letzten Monaten die Finger wundgeschrieben haben in jeder Liste von empfehlenswerten Serien, DVD-Geschenksets, spannenden Neustarts im deutschen TV.

Homeland ist ein Vertreter der seltenen Spezies von Serien, die intelligent, psychologisch komplex, preisbeladen und kommerziell erfolgreich sind. Zumindest in den USA. In Deutschland landet sie in den späteren Sonntagabend-Slots von Sat.1 – weil da noch die beste Chance besteht, dass die Quote so ausfällt, dass alle zufrieden sind.



Worum geht’s nun in Homeland, und was zeichnet die Serie so aus, dass wir alle so enthusiastisch für sie werben?


Kein fester Grund, nirgends

Homeland ist ein psychologisches Ballett auf Treibsand, ein Stück Zeitgeschichte und Zeitkultur. Denn in der Welt von Homeland gibt es keinen festen Grund, keine Sicherheiten. Die beiden zentralen Figuren sind der aus jahrelanger Kriegsgefangenschaft zurückkehrende Marine Brody (Damian Lewis), der eine Welt vorfindet, die er kaum noch erkennt. Und auf der anderen Seite die CIA-Agentin Carrie (Claire Danes), die fest davon überzeugt ist, dass Brody umgedreht wurde und den nächsten großen Terroranschlag plant. Es macht einen Großteil des Reizes von Homeland aus, dass man sie kaum in die Rollen von Protagonist und Antagonist einteilen kann. Denn die Serie versteht es über große Teile der ersten Staffel meisterhaft, den Zuschauer im Unklaren zu lassen, ob Brody nun ein Bösewicht ist oder nur ein traumatisierter Veteran, der wieder Boden unter die Füße kriegen will. Was ihn umtreibt, warum er tut, was er tut.

Homeland vermittelt ein Stück amerikanische Zeitgeschichte: Eine Welt, post-"War on Terror", post-Irak, post-Finanzkrise, in der es keine festgefügten Sicherheiten gibt. Der Boden unter den Füßen Treibsand ist, jeden Moment nachgeben kann. Das Spiel zwischen der obsessiven, bipolaren Carrie und dem undurchsichtigen Brody stellt ein Katz-und-Maus-Spiel dar, bei dem oft nicht so ganz klar scheint, wer nun Katze ist und wer Maus.

Dieser Psychothriller im Serienformat funktioniert, weil er intelligent geschrieben ist, der Zuschauer im Schnitt pro Folge einmal seine Haltung zu Brody ändert und die exakte Psychologie der Figuren einem immer wieder die Füße wegzieht. Das gilt nicht nur für die Parts, in denen es um Terrorismus, Paranoia und Spionage geht. Das gilt für jede menschliche Interaktion, fast jede Figur in der Serie.

Für Brodys Frau, die gerade so weit war, ein neues Leben zu beginnen und nun versuchen muss, ihr altes mit einem veränderten Mann wieder aufzunehmen. Für Carries Mentor Saul, dem sein Leben zerbricht, ohne dass Carrie überhaupt Notiz davon nimmt. Keiner steht auf festem Grund. Jeder Tanz zwischen zwei Figuren ist ein Akt psychologischen Balletts auf Treibsand.

Doppelbödigkeit ist das entscheidende Element von Homeland. Die Serie lebt von Szenen, in denen mindestens eine Figur die tatsächliche Motivation und Gefühlslage des Gegenübers nicht begreift, das Netz nicht sieht, das die Handlungen des anderen spinnen. 


Homeland zeigt, was TV-Unterhaltung leisten kann

Transportiert wird dies durch eine hervorragende Darstellerriege. Claire Danes kraftvolles Spiel macht Carries Obsession greifbar. Der einzige Grund, aus dem sie nicht herausragt, besteht darin, dass sie zwei Meister des subtilen Spiels an ihrer Seite hat. Damian Lewis beherrscht eine präzise, mehrschichtige Mimik, die den Zuschauer oft die nach außen getragene Emotion der Figur und die darunterliegende tatsächliche erkennen lässt, ohne aufgesetzt zu wirken. Andere brauchen zehn Zeilen Text, um zu vermitteln, was Lewis mit der Veränderung von ein paar Falten um die Augen und den Ausdruck in ihnen schafft. Und Mandy Patinkin erreicht in der Zurückgenommenheit seiner Figur Saul eine Ausdrucksstärke, für die andere brüllen müssen. (Hat er früher durchaus auch gemacht.)

Homeland zeigt, wie professionelle TV-Unterhaltung aussehen, was sie leisten kann. Wenn man intelligente Skripts, großartige Darsteller und den Mut hat, vom Zuschauer Mitdenken zu erwarten.

Dass die Serie weit hinter den Quoten eines Dschungelcamp zurückbleiben wird, gehört zum Drama der Unterhaltungsgegenwart. Nicht nur der im TV.

Was das mit Nullen und Einsen zu tun hat? Nun, Homeland und dessen Rezeption in Deutschland bereits vor der Ausstrahlung ist ein schöner Beleg für die Veränderung in der Mediennutzung. Die komplett via iTunes verfügbare erste und zweite Staffel haben sich viele angesehen, bei der zweiten Staffel waren die jeweiligen Episoden bereits kurz nach der US-Ausstrahlung verfügbar. Kaum noch Asynchronität, keine Verzögerung durch das Warten auf Box-Sets. 

Ich etwa habe mir die erste Staffel angesehen, während in Deutschland Dschungelcamp lief – sprich, rein gar nichts brauchbares zu sehen war. Homeland dürfte jenseits der USA Spartenprogramm bleiben. Obwohl es die Stärke professionell produzierter Inhalte zeigt – und die sind nunmal teuer – wird es für werbefinanziertes Programm aufgrund der erzielbaren Quoten nicht auf Prime-Plätzen laufen. Breaking Bad lief hierzulande ja auch bei Arte. Ob sich hierfür durch digitale Kanäle, ob im Netz oder auf dem TV-Schirm, bessere Verwertungskanäle finden lassen, ist eine der Fragen, die wir in den nächsten Jahren klären müssen. (Davon mal abgesehen ist der Witz an einem privaten Blog aber auch der, dass ich hier treiben kann, was ich will.)

Jetzt solltet ihr aber erstmal alle Homeland schauen. Auf Sat.1, auf Sat.1.de im Catchup-Modus oder via iTunes. Aber schaut es, es lohnt sich.

Und ja, es sagt auch was über die deutsche TV-Landschaft aus, dass ich den englischen Trailer einbinden musste, weil auf Sat1.de die Share-Option fehlt.

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