Mittwoch, 23. Oktober 2013

"Women shouldn't" und Auto Complete Truth - Gute Algorithmen sind ein gnadenloser Spiegel

In all den Diskussionen über Big Data, Datenkraken und Informationsflut im Netz geht eins gelegentlich unter: Das Datenmeer kann nicht nur ein reiches Gewässer zum Fischen sein, es eignet sich auch als simpler Spiegel.

Vieles von dem, was im Netz zu sehen ist, ist unschön, unbequem, hässlich. Das ist aber nicht die Schuld des Netzes, sondern unsere. Der Spiegel kann nicht viel dafür, was er zeigt. Und gute Algorithmen sind ein gnadenloser Spiegel.

Ein frisches, plakatives Beispiel liefert die Werbeagentur Ogilvy & Mather Dubai für UN Women: In Printanzeigenmotiven platziert die Agentur über dem Mund von Frauen Google-Autocomplete-Vorschläge zu Formulierungen wie "women should", "women need to", "women shouldn't" oder "women cannot". Und das, was Googles automatische Komplettierung da ausspuckt, ist durch die Bank gruslig und rückständig. 

Shouldn't have rights, shouldn't vote, need to be put in their place, cannot be trusted, should be slaves.

Das Bild ist klar.

Bild: Christopher Hunt et al, Auto Complete Truth, Behance.


Die starke Kampagne namens "Auto Complete Truth" setzt dabei auf ein ganz simples Tool: Das, was Googles Autocomplete uns spiegelt. Die Tonalität und Geisteshaltung, die laut Algorithmus mit dem entsprechenden Satzbeginn wohl am ehesten verbunden ist.

Man muss dazu sagen: Das sind nicht einfach nur die meistgesuchten Formulierungen, sie müssen auch alle kein riesiges Suchvolumen aufweisen. In den Algorithmus spielen einige Faktoren mit rein. Aber es leitet sich alles aus von Google erfasstem Nutzerverhalten ab. Soll heißen: Wenn darüber diskutiert wird, dann ist diese Tonalität sehr präsent. Und das ist erschreckend.

Die Hinterfragung der spiegelnden Oberfläche ist im übrigen wichtig, denn wie gut ein Spiegel etwas darstellt, hängt auch von seiner Machart, der Ausleuchtung und der Frage ab, ob er geputzt ist. Google kann man sicher unterstellen, dass seine Algorithmen klug treffen – das ist ja beileibe nicht überall so.

(Gruß an Facebook, dessen Software es letztens für zielführend hielt, mir Cosmopolitan vorzuschlagen, weil Frauen unter meinen Facebook-Kontakten die geliked haben.)

Eine Einschränkung, die man hier bei Googles Autocomplete doch vornehmen sollte:
Google operiert mit dem, was Nutzer machen. Vernünftige Menschen verbringen ihre Zeit aber nicht damit, im Keller zu sitzen und das Internet damit vollzujammern, was Frauen zu tun und zu lassen haben. Aus dem Nutzungsverhalten der Vernünftigen lässt sich dann aber zu den verwendeten Begriffen auch nichts sammeln, was die Autokomplettierung verändert.

Das bedeutet aber auch: Der Gesprächsraum gehört zu sehr den Idioten.

Insofern ist es gut, dass UN Women als nächstes dazu auffordert, auf Twitter unter #womenshould über die Kampagne zu sprechen. Das kann den Geräuschanteil der Idioten zurückdrängen.

Die Dummheit stirbt nicht aus, wenn wir den Mund nicht aufkriegen.

Spiegel und Betrachter

Ein simples Tool zeigt so einfach die Verbreitung eines großen Problems.

Auch andere Dinge lassen sich so gut sichtbar machen: Googles FluTrends etwa prognostiziert anhand von Suchabfragen Grippewellen und Grippeverbreitung und liefert ziemlich gute Ergebnisse.

Vieles von dem, was uns im Netz nervt oder stört – gerade auch bei Social Media – spiegelt ja nur menschliche Verhaltensweisen, die dort besser sichtbar werden. Natürlich, manches formen die Kanaleigenschaften mit. Aber sie erzeugen davon nur wenig. Für Forscher etwa sind Online-Verhalten und Online-Befragungen eine sehr ergiebige Quelle, weil Menschen Dinge offenbaren, die sie in einer Interview-Befragung nicht offen sagen würden.

Mit Trends, Analytics und Media Tools hat Google erst kürzlich Journalisten seinen Baukasten für Datenjournalismus nochmal schmackhaft gemacht. Und in der Tat lassen sich so interessante Dinge anstellen und ans Tageslicht befördern.

Das braucht nur immer auch den Anwender. Information ist nicht mit Erkenntnis gleichzusetzen. Es geht immer auch um die Auswertung, Einordnung und Interpretation der Ergebnisse. Und die richtigen Schlüsse. Es braucht nicht nur den Spiegel, es braucht auch den genauen Blick. In der digitalen Vermessung von Mensch und Welt gibt es viel zu entdecken. (Ohne Gefahren ist eine Quantifizierungs- und Messgläubigkeit auch bei weitem nicht, aber das führt jetzt hier zu weit.) Man muss allerdings mit offenen Augen hinsehen. 

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