In all den Diskussionen über Big Data, Datenkraken und
Informationsflut im Netz geht eins gelegentlich unter: Das Datenmeer
kann nicht nur ein reiches Gewässer zum Fischen sein, es eignet sich
auch als simpler Spiegel.
Vieles von dem, was im Netz zu sehen ist, ist unschön, unbequem,
hässlich. Das ist aber nicht die Schuld des Netzes, sondern unsere.
Der Spiegel kann nicht viel dafür, was er zeigt. Und gute
Algorithmen sind ein gnadenloser Spiegel.
Ein frisches, plakatives Beispiel liefert die Werbeagentur Ogilvy
& Mather Dubai für UN Women: In Printanzeigenmotiven platziert
die Agentur über dem Mund von Frauen Google-Autocomplete-Vorschläge
zu Formulierungen wie "women should", "women need to", "women
shouldn't" oder "women cannot". Und das, was Googles
automatische Komplettierung da ausspuckt, ist durch die Bank gruslig
und rückständig.
Shouldn't have rights, shouldn't vote, need to be put in their
place, cannot be trusted, should be slaves.
Das Bild ist klar.
Bild: Christopher Hunt et al, Auto Complete Truth, Behance. |
Die starke Kampagne namens "Auto Complete Truth" setzt dabei auf ein ganz simples Tool:
Das, was Googles Autocomplete uns spiegelt. Die Tonalität und
Geisteshaltung, die laut Algorithmus mit dem entsprechenden
Satzbeginn wohl am ehesten verbunden ist.
Man muss dazu sagen: Das sind nicht einfach nur die meistgesuchten
Formulierungen, sie müssen auch alle kein riesiges Suchvolumen aufweisen. In
den Algorithmus spielen einige Faktoren mit rein. Aber es leitet sich
alles aus von Google erfasstem Nutzerverhalten ab. Soll heißen: Wenn
darüber diskutiert wird, dann ist diese Tonalität sehr präsent.
Und das ist erschreckend.
Die Hinterfragung der spiegelnden Oberfläche ist im übrigen wichtig, denn
wie gut ein Spiegel etwas darstellt, hängt auch von seiner Machart,
der Ausleuchtung und der Frage ab, ob er geputzt ist. Google kann man
sicher unterstellen, dass seine Algorithmen klug treffen – das ist
ja beileibe nicht überall so.
(Gruß an Facebook, dessen Software es letztens für zielführend
hielt, mir Cosmopolitan vorzuschlagen, weil Frauen unter meinen
Facebook-Kontakten die geliked haben.)
Eine Einschränkung, die man hier bei Googles Autocomplete doch
vornehmen sollte:
Google operiert mit dem, was Nutzer machen. Vernünftige Menschen
verbringen ihre Zeit aber nicht damit, im Keller zu sitzen und das
Internet damit vollzujammern, was Frauen zu tun und zu lassen haben.
Aus dem Nutzungsverhalten der Vernünftigen lässt sich dann aber zu
den verwendeten Begriffen auch nichts sammeln, was die
Autokomplettierung verändert.
Das bedeutet aber auch: Der Gesprächsraum gehört zu sehr den
Idioten.
Insofern ist es gut, dass UN Women als nächstes dazu auffordert,
auf Twitter unter #womenshould über die Kampagne zu sprechen. Das
kann den Geräuschanteil der Idioten zurückdrängen.
Die Dummheit stirbt nicht aus, wenn wir den Mund nicht aufkriegen.
Spiegel und Betrachter
Ein simples Tool zeigt so einfach die Verbreitung eines großen
Problems.
Auch andere Dinge lassen sich so gut sichtbar machen: Googles FluTrends etwa prognostiziert anhand von Suchabfragen Grippewellen und
Grippeverbreitung und liefert ziemlich gute Ergebnisse.
Vieles von dem, was uns im Netz nervt oder stört – gerade auch
bei Social Media – spiegelt ja nur menschliche Verhaltensweisen,
die dort besser sichtbar werden. Natürlich, manches formen die
Kanaleigenschaften mit. Aber sie erzeugen davon nur wenig. Für
Forscher etwa sind Online-Verhalten und Online-Befragungen eine sehr
ergiebige Quelle, weil Menschen Dinge offenbaren, die sie in einer
Interview-Befragung nicht offen sagen würden.
Mit Trends, Analytics und Media Tools hat Google erst kürzlich
Journalisten seinen Baukasten für Datenjournalismus nochmal
schmackhaft gemacht. Und in der Tat lassen sich so interessante Dinge
anstellen und ans Tageslicht befördern.
Das braucht nur immer auch den Anwender. Information ist nicht mit
Erkenntnis gleichzusetzen. Es geht immer auch um die Auswertung,
Einordnung und Interpretation der Ergebnisse. Und die richtigen
Schlüsse. Es braucht nicht nur den Spiegel, es braucht auch den
genauen Blick. In der digitalen Vermessung von Mensch und Welt gibt es viel zu entdecken. (Ohne Gefahren ist eine Quantifizierungs- und Messgläubigkeit auch bei weitem nicht, aber das führt jetzt hier zu weit.) Man muss allerdings mit offenen Augen hinsehen.
Die automatisch komplettierte Wahrheit gibt es so nicht, die müssen wir schon selbst zusammensetzen. Aber für Selbsterkenntnis kann ein Spiegel sehr wertvoll sein.
Mehr zur Kampagne:
Adweek
Designtaxi
W&V
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