Mittwoch, 10. Juli 2013

Die Foto-App Rando als Flaschenpost - was passiert bei Sharing ohne Social?

Die Sozialisierung des Webs hatte schon fast epidemische Züge: Jeder flanschte Social Features an, keiner war mehr damit zufrieden, ein Bilder-Archiv, ein Bookmarking-Dienst oder sonstwas zu sein, alles muss schön viel Web 2.0 enthalten. Im Bereich der Foto- und Video-Apps galt es sowieso, Nutzern möglichst viele Optionen zum Teilen und Folgen und Vernetzen zu geben. Über die Folgen in Bezug auf Selbstdokumentation und Selbstdarstellung habe ich auch schon mal was geschrieben.

Das Digital-Studio Ustwo ging für ein Experiment einen anderen Weg und stellte sich die Frage: Was passiert eigentlich, wenn man eine "antisoziale" Photosharing App baut?

Das Ergebnis ist Rando. Eine App, in der aus Fotos gewissermaßen digitale Flaschenpost-Botschaften werden. Rando-Nutzer können Fotos schießen und diese verschicken. Sie wissen aber nicht, an wen. Nur wer ein Bild verschickt, erhält auch eines. Alles, was er dazu erfährt, ist die Region, aus der es stammt. Kein Name, kein Nutzer. Keine Profile, kein gezieltes Teilen, keine Follower. Nur der zufällige (Rando für Random) Austausch von Fotos, asynchron. 

Quelle: Rando Website.


Mit der Spielerei ging es Ustwo auch darum zu sehen, wie Nutzer reagieren. Würden Sie eine Plattform nutzen, auf der sich keinerlei Beziehung aufbauen lässt? Auf der alle Elemente der Selbstdarstellung fehlen, aber auch der gegenseitigen Incentivierung durch Likes, Faves und ähnliches? Würden Sie Fremden Bilder schenken, ohne die geringste Steuerungsmöglichkeit oder das kleinste Feedback?

Vier Monate nach dem Start lässt sich sagen: Ja. Einige zumindest. 420.000 Downloads verzeichnet Ustwo für die Apps iOS, Android und Windows Phone. Über zehn Millionen Fotos wurden verschickt. In der letzten Juni-Woche waren es fast eine halbe Million (Die Android-App gibt es erst seit April, die Windows-Phone-Variante seit Juni).

Das Teilen von Bildern nur um ihrer selbst und dem kurzen Blick durch ein anonymes Schlüsselloch irgendwo anders auf der Welt willen ist ein interessantes Konzept. Ein flüchtiger, auch mal rätselhafter Blick ohne den Kontext, den wir sonst überall im Netz vermeintlich im Überfluss erhalten. Eine bewusste Reduktion, die Spannung erzeugen kann. 

Und bei der es interessant scheint, zu beobachten, was für Bilder denn geteilt werden und wie sie sich von denen auf Social-Photosharing-Plattformen unterscheiden. Für zurechtgestylte Duckface-Profilfotos fehlt ja die externe Incentivierung, es gibt keine Peer Group, die virtuellen Beifall spendet oder sonstwie Einfluss ausübt. (Natürlich betreibt nicht jeder Selbstdarstellung auf Instagram, Hipstamatic & Co. Aber der Anreiz für diese fällt weg, für andere Bildtypen natürlich auch, wenn diese eine Bedeutung beinhalten, die ich Bekannten kommunizieren will.)

In bestimmten Weltregionen ist dieses reduzierte Fototeilen populärer als anderswo: Das britische Digital-Studio hat die meisten Nutzer in Südkorea (39 Prozent), gefolgt von den USA (17 Prozent) und Russland (10 Prozent).

Relativ gering sind die Probleme mit ausfälligen, unangemessenen Inhalten. Im Gegensatz zu einem Chatroulette, das von Freizeit-Exhibitionisten und pubertären Scherzkeksen absehbar überrannt wurde, musste Ustwo nach eigenen Angaben nur 858 Nutzer und 82000 Rando-Fotos sperren. Das kann gut an der Asynchronität und beidseitigen Anonymität liegen - wo das Bild landet und welche Reaktion es auslöst, sieht ja keiner. Das mag für diese Zielgruppe den Reiz an Penisfotos ausreichend mindern. (Denn ja, auch Exhibitionismus stellt einen sozialen Akt dar.)

Rando will andere Fotodienste nicht ablösen, es ist schlicht ein kleines Experiment, über das Ustwo Erfahrungen sammelt und natürlich auch eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich lenkt, von TechCrunch über Gizmodo und The Verge bis zu Fast Company. Aber der puristische Ansatz ist einen Blick wert. 

Nicht nur für Leute, die keine Freunde haben. An die hat sich die zweiwöchige Außenwerbekampagne gerichtet.

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