Montag, 28. Oktober 2013

Netzespresso: Spielen für weniger Abgelenktheit

Es blinkt, es fiept, es push-notified. Zu den fünf Mails, die in diesem Satz vermutlich schon wieder angekommen sind, kommt ein Dutzend Dinge in zwei Dutzend Browser-Tabs und was sonst noch alles. Wie soll man sich da nur konzentrieren? 

Mit Spielen.

Zumindest für die ältere Zielgruppe (und wir reden hier nicht von Gamer-alt, das wäre ich, sondern von Personen ab 60) scheint das zu funktionieren, wie eine in Nature veröffentlichte Studie zeigt. Ironischerweise ist es dem Team um Adam Gazzaley dabei ausgerechnet mit einem Computerspiel gelungen, das Multitasking, die Konzentrationsfähigkeit und die kognitive Kontrolle zu verbessern. Also mit der Art von Produkt, von der Kritiker gern das Gegenteil behaupten ("Die Kids zocken viel zu viel...").

Probanden der Neuroracer-Studie. Screenshot des Nature-Videos.


Mittwoch, 23. Oktober 2013

"Women shouldn't" und Auto Complete Truth - Gute Algorithmen sind ein gnadenloser Spiegel

In all den Diskussionen über Big Data, Datenkraken und Informationsflut im Netz geht eins gelegentlich unter: Das Datenmeer kann nicht nur ein reiches Gewässer zum Fischen sein, es eignet sich auch als simpler Spiegel.

Vieles von dem, was im Netz zu sehen ist, ist unschön, unbequem, hässlich. Das ist aber nicht die Schuld des Netzes, sondern unsere. Der Spiegel kann nicht viel dafür, was er zeigt. Und gute Algorithmen sind ein gnadenloser Spiegel.

Ein frisches, plakatives Beispiel liefert die Werbeagentur Ogilvy & Mather Dubai für UN Women: In Printanzeigenmotiven platziert die Agentur über dem Mund von Frauen Google-Autocomplete-Vorschläge zu Formulierungen wie "women should", "women need to", "women shouldn't" oder "women cannot". Und das, was Googles automatische Komplettierung da ausspuckt, ist durch die Bank gruslig und rückständig. 

Shouldn't have rights, shouldn't vote, need to be put in their place, cannot be trusted, should be slaves.

Das Bild ist klar.

Bild: Christopher Hunt et al, Auto Complete Truth, Behance.

Dienstag, 15. Oktober 2013

Schrödingers Katzenvideo Oder Viralität, Wahrheit, Medien und was Menschen nicht wissen wollen

Anfang Oktober flatterte ein herziges Stück viraler Content durchs Netz. Ein handgeschriebener Brief eines Großvaters, der seiner Tochter verbal die Ohren langzog, weil diese ihren schwulen Sohn verstoßen hatte. Das Ding habt ihr vermutlich irgendwo gesehen.

Kurz danach begann eine Diskussion darüber, dass Nullkommagarnix die Authentizität dieses Schriebs bestätigt, der von einer Modemarke ins Netz geschoben wurde, was Mediensites aber nicht davon abhielt, treuherzig darüber zu berichten. Eine Diskussion über "viral bullshit" (Jeff Jarvis) und "The slippery slope between viral and true" (Mathew Ingram). Angestoßen auf Gawker, von Gawker-Gründer Nick Denton.

Davon haben die meisten vermutlich nichts mitbekommen. Und das skizziert gut einen Teil des Problems, um das es hier geht.

Bei der Diskussion auf Gawker zwischen Chefredakteur, zuständigem Redakteur und Gründer ging es darum, ob es zu rechtfertigen ist, Inhalt mit Viralpotential einfach nur um des Traffic willens aufzugreifen - oder ob es nicht die verdammte Pflicht von Redaktionen wäre, nur Verifiziertes aufzugreifen.

Es gab ein paar interessante Sätze dabei, etwa  von Chefredakteur John Cook, über das Spannungsverhältnis sauberen Arbeitens versus Geschwindigkeit und Traffic:
"(...) we are tasked both with extending the legacy of what Gawker has always been—ruthless honesty—and be reliably and speedily on top of internet culture all while getting a shit-ton of traffic. Those goals are sometimes in tension."

Oder vom zuständigen Redakteur, dessen Job viral beschaffter Traffic ist:

"People don't look to these stories for hard facts and shoe-leather reporting. They look to them for fleeting instances of joy or comfort. (...)
Take a video I recently posted of a firefighter rescuing a kitten from a burning building. That kitten later died — a fact I included in an otherwise straightforward feel-good "cat video" post. That "oversharing" damaged the virality of that post, as the top comment chiding me for providing too much information clearly indicates.
You really can't have it both ways when it comes to viral content. If you want to capitalize on its sharing prowess and reap the PVs that come with that, then you simply can't take a hard-boiled approach to fluff.
People are just not going to share a cat video of a dead cat."

Ihr schaut euch diesen Text jetzt nicht ernsthaft wegen des Katzenfotos an, oder? Bild: Harald Schottner  / pixelio.de


Die vollständige Wahrheit wollen Menschen nicht hören, erst recht nicht teilen. Man könnte von Schrödingers Katzenvideo sprechen - es funktioniert nur, wenn die Menschen nicht wissen, dass die Katze tot ist. Im Unklaren gelassen werden.